Interview Staatsminister Roth über Türkei-Wahl: „Eine beispiellose Machtkonzentration“

Staatsminister Michael Roth (SPD) über den Wahlausgang in der Türkei und Deutschlands Reaktionsmöglichkeiten.

 Michael Roth (SPD), Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt.

Michael Roth (SPD), Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt.

Foto: Bernd von Jutrczenka

Am Mittwoch berät der Auswärtige Ausschuss des Bundestages über die Lage in der Türkei nach der Wiederwahl von Präsident Erdogan. Staatsminister Michael Roth (SPD) wird für die Bundesregierung berichten. Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff sprach schon vorab mit dem 47-jährigen Politiker.

Waren die Wahlen in der Türkei frei und fair?

Die internationale Wahlbeobachtermission von OSZE und Europarat hat in ihrem vorläufigen Bericht die mangelnde Chancengleichheit kritisiert. Zudem hat sie darauf hingewiesen, dass aufgrund des Ausnahmezustands in der Türkei noch immer massive Einschränkungen bei den Grundfreiheiten gelten, insbesondere bei der Pressefreiheit. Auch am Wahltag ist es demnach zu Verstößen gekommen, die aber keinen entscheidenden Einfluss auf die Legitimität des verkündeten Wahlergebnisses gehabt haben dürften.

Rechnen Sie damit, dass Erdogan sich nun mäßigt oder wird er auf der Basis des Präsidialsystems jetzt noch härter gegen alle Oppositionellen vorgehen?

Die nunmehr geltende Verfassung gibt dem Präsidentenamt sehr weitreichende Kompetenzen. Diese in der Türkei bisher beispiellose Machtkonzentration ist ja im vergangenen Jahr Gegenstand kritischer Stellungnahmen, etwa der Venedig-Kommission des Europarates gewesen. Wir werden gemeinsam mit unseren Partnern in der EU ganz genau beobachten, welchen Gebrauch der Präsident von seinen neuen Befugnissen macht. Ein erster notwendiger Schritt wäre die Aufhebung des Ausnahmezustandes in der Türkei.

Wie kann man die Opposition und die Zivilgesellschaft in der Türkei von Deutschland aus unterstützen?

Natürlich sprechen wir mit der Regierung der Türkei. Genauso selbstverständlich sprechen wir aber auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Opposition und der Zivilgesellschaft. Genau das mache ich auf all meinen Reisen in die Türkei. Wir haben zahlreiche Projekte aufgelegt — von der Unterstützung von Kulturschaffenden über die Förderung von Lokaljournalismus bis zur Kooperation von Universitäten. Die Zivilgesellschaft kann sich auch weiterhin auf uns verlassen.

Schon im letzten Jahr ist die Zahl der türkischen Asylbewerber gestiegen. Muss Deutschland die Menschen aufnehmen, die vor Erdogan fliehen?

Das Recht auf Asyl ist in Deutschland ein Verfassungsrecht. Asylgesuche von türkischen Antragstellerinnen und Antragstellern werden nach den gleichen Maßstäben geprüft wie alle anderen.

Muss sich die Welt auf weitere außenpolitische Abenteuer der Regierung in Ankara einstellen, etwa im Nahen Osten oder in der Ägäis?

Die Türkei könnte die Rolle eines regionalen Stabilitätsankers übernehmen. Leider hat sie in der Vergangenheit davon nicht nur wenig Gebrauch gemacht, sondern mit fragwürdigen Entscheidungen dazu beigetragen, dass Vertrauen in die türkische Außenpolitik zu verspielen. Die Türkei muss endlich wieder einen konstruktiven Kurs fahren, nicht nur mit Blick auf das Östliche Mittelmeer, sondern ganz besonders auch in Richtung Syrien und Irak.

Die in Deutschland lebenden Türken haben überproportional stark für Erdogan gestimmt und auf den Straßen in Deutschland gejubelt. Ist das ein Zeichen gescheiterter Integration?

Es lohnt sich, genauer hinzusehen: Von den knapp drei Millionen türkeistämmigen Menschen in Deutschland waren nur 1,4 Millionen wahlberechtigt. Von diesen haben nur knapp die Hälfte ihr Recht wahrgenommen, also etwa 700.000 Personen. Von diesen haben 65 Prozent für Erdogan gestimmt. Das sind weniger als 500.000 Stimmen. Gleichwohl zeigt das Wahlergebnis, was es alles noch zu tun gibt, damit sich junge Bürgerinnen und Bürger mit türkischen Wurzeln zu unseren demokratischen Werten bekennen und sich bei uns heimisch fühlen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
BMS - Redakteur Stefan Vetter  in
Endlich Tempo
Bund und Länder wollen „beschleunigen“Endlich Tempo
Zum Thema
Aus dem Ressort