„Spiegel“: Zu viel Bürokratie im Gesundheitswesen

Hamburg (dpa) - Im deutschen Gesundheitssystem fallen nach einem „Spiegel“-Bericht deutlich mehr Verwaltungskosten an als bisher vermutet.

Einer Studie der Unternehmensberatung A. T. Kearney zufolge sind 23 Prozent der 176 Milliarden Euro Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung 2010 bürokratischen Abläufen geschuldet, schreibt das Magazin. In der Industrie liege dieser Anteil bei nur 6,1 Prozent. Durch schlankere Strukturen ließe sich der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung von derzeit 15,5 auf 14,2 Prozent senken, schlussfolgert die Studie.

Die Krankenkassen verursachten nicht nur in ihren eigenen Unternehmen Bürokratie, sondern in der gesamten Branche, etwa bei Apotheken, Arztpraxen oder Krankenhäusern, heißt es in der Studie. Neben den offiziellen angegebenen Verwaltungskosten in Höhe von 9,5 Milliarden Euro kämen deshalb noch weitere 18 Milliarden Euro hinzu, die bisher nirgendwo veranschlagt seien. So müssten etwa Krankenhausärzte 37 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Verwaltungsaufgaben zubringen. Auch die komplizierten Abrechnungsverfahren bei niedergelassenen Ärzten oder die Praxisgebühr seien Kostentreiber.

Nach der Berechnung könnten rund 13 Milliarden Euro eingespart werden. A. T. Kearney hat laut „Spiegel“ für die Studie mehr als 6000 Ärzte, Apotheker und Sanitätshäuser befragt. Der GKV-Spitzenverband aller Krankenkassen wehrte sich am Wochenende in einer Mitteilung gegen den „Pauschalvorwurf von zu viel Bürokratie“.

So sei zum Beispiel „die Dokumentation von Behandlungen und Arzneimittelverordnungen keine überflüssige Bürokratie, sondern für eine gute medizinische Behandlung notwendig“, hieß es. „Wenn Apotheker ein günstiges Arzneimittel mit Rabattvertrag heraussuchen müssen, dann ist es aus ihrer Sicht vielleicht unnötige Bürokratie - aber viele Patienten sparen dadurch die Zuzahlung.“ GKV-Sprecher Florian Lanz: „Wenn wir in Deutschland Menschen genauso am Fließband behandeln würden, wie die Industrie Autos baut, könnten wir die Kosten für bürokratische Abläufe im Gesundheitswesen sicherlich auch auf 6,1 Prozent drücken - aber wer möchte schon so automatisiert behandelt werden?“

Der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, sagte der dpa: „Von den Milliarden, die für den Kontroll- und Bürokratisierungsaufwand im Gesundheitswesen verschleudert werden, haben die Schwerkranken und Pflegebedürftigen nichts.“ Zum Vergleich des GKV-Spitzenverbandes mit der Auto-Industrie sagte er, niemand kaufe ein Auto, weil die Bauanleitung und Montagedokumentation vollständig sei. „Qualität wird vielmehr in alltagspraktischen Tests gemessen und verglichen. So etwas gibt es jedoch im Gesundheitswesen nicht. Stattdessen werden 26 Milliarden Euro der gesetzlich Versicherten für ein Bürokratisierungsmonster verbrannt.“

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