Solinger Brandanschlag: Was aus den Tätern wurde

Die im Oktober 1995 zu langjährigen Haftstrafen Verurteilten sind schon seit Jahren wieder auf freiem Fuß.

Solingen. Wenn in diesen Tagen der Opfer des Brandanschlags von Solingen vor 20 Jahren gedacht wird, interessiert natürlich auch noch einmal die Frage nach den vier im Oktober 1995 vom Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilten Tätern. Diese sind nach Absitzen ihrer Strafen längst wieder auf freiem Fuß.

Der damals 16-Jährige und der 18-Jährige haben eine Tatbeteiligung von Anfang an bestritten — bis heute tun sie das. Nur der zur Tatzeit 23-Jährige hatte ein Geständnis abgelegt: Die drei anderen Angeklagten und er hätten den Brand gelegt. Einmal widerrief er es für ein paar Tage, dann hielt er am Geständnis bis zum 80. Prozesstag fest — um dann erneut zu widerrufen.

Der zur Tatzeit 18-jährige Nachbarjunge der Familie Genç rundete damals der Wirrwarr ab: Er habe das Haus der türkischen Familie allein angesteckt, nur „um Rabatz zu machen“, mehr nicht. Sein Geständnis sollte nach 17 vorangegangen Versionen sein endgültiges sein, erklärte damals sein Anwalt vor Gericht.

Die vier Verurteilten sind längst frei: Ein heute 40-Jähriger, der weiterhin vehement abstreitet, etwas mit dem Brandanschlag zu tun zu haben, erhielt nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner zehnjährigen Haftstrafe als Freigänger die Möglichkeit, sein Abitur an einer Schule nachzumachen. Und dies gelang ihm ebenso mit großem Erfolg wie er später das Examen als Sozialpädagoge ablegte: mit der Note „Sehr gut“. Er ist heute als Sozialarbeiter tätig, hatte aber zwischenzeitlich mehrfach berufliche Probleme, als seine Lebensgeschichte den jeweiligen Arbeitgebern bekannt wurde. Er lebt heute in einer Großstadt in der Umgebung Solingens.

Der jüngste Verurteilte, ein damals 16-jähriger Schüler, kam nach Verbüßung von sechseinhalb Jahren Haft frei, machte eine kaufmännische Lehre. Heute wird er von seinen Eltern abgeschottet. Aber auch er fühlt sich 20 Jahre später nach wie vor als ein unschuldig Verurteilter.

Unschuldig verurteilt zu sein — dies behauptet auch der damals einzige Erwachsene trotz seines einstigen (widerrufenen) Geständnisses von sich: Auch er holte in der Haft sein Abitur nach. Er kam nach zwölfeinhalb Jahren frei, studierte Anglistik und Romanistik, brach das Studium nach wenigen Semestern ab. Er jobbte als Lagerarbeiter und Hilfsarbeiter, lebt inzwischen in einer westfälischen Stadt von Arbeitslosengeld. Der 43-Jährige ist immer bei seiner letzten Version geblieben: Er sei unschuldig, sei von Kripobeamten massiv eingeschüchtert und zum Geständnis gedrängt worden. Sein damaliger Verteidiger, der Marler Siegmund Benecken, sieht das anders: „Ich hatte und habe keine Zweifel an der Schuld meines ehemaligen Mandanten.“

Seine volle Jugendstrafe abgesessen hat der ehemalige Nachbarsjunge (zur Tatzeit 18) der Familie Genç. Im Gefängnis hatte er einen ausländischen Mithäftling bewusstlos geprügelt. Der heute 38-Jährige, der am Rande des Ruhrgebiets lebt, ist weiter in der rechten Szene aktiv: So wurde er zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er bei der Kundgebung einer Neonazi-Kameradschaft mehrfach den Hitlergruß gezeigt hatte.

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