Münchener Sicherheitskonferenz Russland löst USA ab: Putin profitiert von Obamas Vorsicht

Dank Amerikas Schwäche ist der russische Präsident Putin die Schlüsselfigur aller internationalen Konflikte. Konservative Analysten staunen, wie wenig die USA und die EU ihm entgegen setzen.

Wladimir Putin war zwar nicht bei der Münchner Sicherheitskonferenz, aber bei der Abschlussveranstaltung wurde viel über ihn - auch wegen der Bombardierungen in Syrien - geredet.

Wladimir Putin war zwar nicht bei der Münchner Sicherheitskonferenz, aber bei der Abschlussveranstaltung wurde viel über ihn - auch wegen der Bombardierungen in Syrien - geredet.

Foto: Mikhail Klimentyev Sputnik K

München. Die 52. Sicherheitskonferenz war am Sonntag noch keine zwei Stunden beendet, da zog Fred Kempe ihre Bilanz in einem Satz: „Wladimir Putin war an diesem Wochenende nicht in München, aber er hat die Show gestohlen.“ Er habe es geschafft, durch seine Bombardierungen in Syrien die Flüchtlingskrise zu verschärfen, den mörderischen Diktator Bashar al-Assad zu stärken und seinen Einfluss auf die Friedensgespräche nochmal erhöht. „Putin scheint stark, weil die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten uneins oder unentschlossen bleiben“, so Kempe, der als Präsident des „Atlantic Council“, eines Washingtoner US-Think-Tanks, einigermaßen unverdächtig ist, für den russischen Präsidenten allzu große Sympathien zu hegen. Und ein Grund sei natürlich die anhaltende „Vorsicht“ der Obama-Administration.

Das sind noch vergleichsweise freundliche Umschreibungen für die offen zur Schau getragene Preisgabe jedes Führungsanspruchs, die John Kerrys letzter Auftritt als US-Außenminister auf der Konferenz sichtbar machte. Kerry tröstete die Konferenz über die mäßigen Ergebnisse der nächtlichen Syrien-Gespräche mit dem Hinweis, auch die Russen hätten zugestimmt, dass man darüber sprechen müsse, wer ein Terrorist sei und künftig bombardiert werden dürfe — während das Flächenbombardement weiter ging. Der konservative US-Senator John McCain nahm das Verhandlungsergebnis in seiner Rede in München entsprechend auseinander: Während die Oppostion die Kämpfe einstellen solle, machten Russland und das Assad-Regime weiter, und es drohten ihnen keine Konsequenzen.

Anschließend nahm McCain sich den russischen Präsidenten vor: „Putin ist nicht daran interessiert, unser Partner zu sein. Er will das Assad-Regime stützen. Er will Russland als Großmacht im Nahen Osten wiederherstellen. Er nutzt Syrien als Übung für Russlands Militär-Modernisierung und will die Latakia-Provinz zum Außenposten einer russischen Einflusssphäre machen, zu einem neuen Kaliningrad oder einer Krim. Und er will die Flüchtlingskrise verschärfen und sie als Waffe verwenden, um die transatlantische Allianz zu spalten und das europäische Projekt untergraben. Das einzige, was sich an Putins Ambitionen geändert hat, ist, dass sein Appetit mit dem Essen wächst.“

Dem kann man mit Blick auf die Geschichte nicht ernsthaft widersprechen: Seit Boris Jelzin den damals weitgehend unbekannten Chef des Geheimdienstes FSB im August 1999 zum Ministerpräsidenten machte und ihn den zweiten Tschetschenien-Krieg beginnen ließ, macht Putin die Erfahrung, dass es weitgehend folgenlos für ihn bleibt, mit geächteten Waffen rücksichtslos gegen Zivilisten vorzugehen; bis zu 200000 Zivilisten sollen damals umgekommen sein, darunter mehr als 40000 Kinder, bis zu 80 Prozent der Städte und Siedlungen wurden zerstört. Der Westen — schwer mit sich selbst beschäftigt — sah zu. Ungehindert marschierte Putin 2008 in Georgien ein — und war schon zwei Jahre später wieder geachteter Gesprächspartner des Westens. Abchasien und Südossetien machte er unverhohlen zu faktischen russischen Provinzen, er besetzte die Krim und dirigiert bis heute einen unerklärten, aber offenen Krieg im Osten der Ukraine. Seit 2012 drohte die Obama-Administration dem syrischen Diktator Assad mit Luftschlägen, wenn er Giftgas gegen seine Bevölkerung einsetze. Heute schafft die US-Luftwaffe dem Diktator die IS-Terroristen vom Hals, während Russland in Syrien den Ton angibt und einen Luftkrieg gegen die Opposition führt. Der frühere schwedische Premier- und Außenminister Carl Bildt, heute Co-Vorsitzender eines europäischen Außenpolitik-Think-Tanks, empfahl der internationalen Gemeinschaft, bei der Münchner Sicherheitskonferenz das starke Signal an Putin zu senden, dass man sich nun entschlossener gegen künftige Überraschungen aus dem Kreml wappne.

Er kenne keinen Russen, so der Schwede Bildt, der in der Lage wäre, irgendeine Vorhersage darüber zu machen, welchen Weg Putins Regime in den kommenden Jahren einschlagen werden. Zurzeit habe offenbar eine Stagnation eingesetzt: „Aber Stagnation bringt selten Langzeit-Stabilität . Und wenn es schwierig wird, ist die Versuchung von externen Ablenkungen immer da.“

Bildt empfahl der westlichen Staatengemeinschaft, die Unterstützung für die Ukraine zu verstärken, Polen und den baltischen Staaten nicht nur kurzfristige Versicherungen zu geben, sondern konsequent auf Abschreckung zu setzen, und seine Haltung zum eigentlich bereits aufgegebenen Plan einer Raketenabwehr nochmals überdenken. 2009 hatte US-Präsident Obama den Plan eines US-Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien in der Hoffnung auf eine bessere Zusammenarbeit mit Russland aufgegeben. Die aktuelle Kernschmelze im Nahen Osten beginne wie eine Version von Europas Dreißigjährigem Krieg auszusehen, so Bildt, und erfordere ebenso ein langfristiges Konzept wie ein „militarisiertes und revisionistisches Russland“. Immerhin könne es sein, dass Putin noch immer im Amt sei, wenn der bereits der Nachfolger des US-Präsident sein Amt antrete, der erst im November gewählt werden.

Für den Hedgefonds-Milliardär George Soros, der zu den Dauergästen der Münchner Sicherheitskonferenz gehört, ist es ein schwerer Fehler der Obama-Administration und der EU-Regierungschefs, Wladimir Putins Russland für einen potenziellen Verbündeten im Kampf gegen den IS zu halten: „Die Beweise widersprechen dem. Putins aktuelles Ziel ist, den EU-Zerfall zu fördern. Und der beste Weg, dies zu tun, ist die EU mit dem syrischen Flüchtlingen zu überschwemmen“, so Soros in Kommentar für etliche Zeitungen weltweit.

Putin sei ein begnadeter Taktiker, aber kein strategischer Denker, so Soros. Es gebe keinen Grund zu glauben, dass er in Syrien eingegriffen habe, um die europäische Flüchtlingskrise zu verschlimmern. Tatsächlich sei seine Intervention sogar ein strategischer Fehler, weil sie ihn in einen Konflikt mit dem türkischen Präsidenten Erdogan verwickele, der beider Interessen verletze. „Aber sobald Putin die Gelegenheit, sah den EU-Zerfall zu beschleunigen, ergriff er sie. Er hat seine Absichten durch Gespräche über Kooperationen gegen einen gemeinsamen Feind, den IS, verschleiert. Er hat einen ähnlichen Ansatz in der Ukraine verfolgt, in dem er das Abkommen von Minsk unterzeichnete, aber seine Bestimmungen nicht durchführt. Es ist schwer zu verstehen, warum die Führer der USA und der EU Putin beim Wort nehmen anstatt ihn nach seinem Verhalten zu beurteilen.“

Die einzige Erklärung, die er finden könne, so Soros, sei, dass demokratische Politiker ihre Öffentlichkeiten zu beruhigen suchten, indem sie ein günstigeres Bild malten, als die Realität es rechtfertigt: „Tatsache ist, dass Putins Russland und die EU sich in einem Wettlauf gegen die Zeit befinden: Die Frage ist, wer zuerst zusammenbricht.“ Das Putin-Regime stehe im Jahr 2017 vor dem Konkurs, wenn ein großer Teil seiner Auslandsschulden fällig werde. Brächen politische Unruhen aus, könne dies früher geschehen. Der effektivste Weg, dies zu verhindern, sei für Putins Regime, die EU einfach früher kollabieren zu lassen.

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