Gewalt Randale nach Anti-G20-Protest: „Welcome to Hell“-Demo eskaliert

Nach der Eskalation am Vorabend des G20-Gipfels bleibt die Lage am Freitag angespannt. Teile der Hansestadt gleichen einer Festung.

Gewalt: Randale nach Anti-G20-Protest: „Welcome to Hell“-Demo eskaliert
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Hamburg. Morgens um halb vier verschwinden im Hamburger Schanzenviertel die ersten Spuren der Verwüstung. Die Kehrwagen der Stadtreinigung rücken an - und sie haben viel zu tun.

Gewalt: Randale nach Anti-G20-Protest: „Welcome to Hell“-Demo eskaliert
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Dutzende Fensterscheiben sind zerbrochen, Bankautomaten demoliert, ganze Straßenzüge mit Glasscherben und herausgerissenen Pflastersteinen bedeckt.

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Ausschreitungen beim G20-Gipfel
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Die Reste brennender Barrikaden dampfen vor sich hin, es stinkt nach verbranntem Müll.

Vor der „Roten Flora“, dem Kulturzentrum der Linksautonomen, sitzen ein paar Dutzend abgekämpfte Demonstranten vor brennendem Holz, als wäre es ein Lagerfeuer. Polizisten stehen daneben, auch sie wirken erschöpft. Sie wollen die Straße nicht räumen, damit die Lage nicht wieder eskaliert.

Am Abend vor dem G20-Gipfel herrschte zuvor stundenlang die Gewalt in den Straßen der Hansestadt. Es sind hässliche und beängstigende Bilder, die von Hamburg in die Welt gesendet werden, von der Stadt, die sich den Staats- und Regierungschefs der größten Wirtschaftsmächte eigentlich in bestem Licht präsentieren will.

Gerade einmal rund 100 Meter weit kommt der Zug der Autonomen-Demo „Welcome to Hell“ am frühen Abend. Dann ist Schluss für rund 12.000 Menschen, die eigentlich gegen den G20-Gipfel am Freitag und Samstag protestieren wollten. Wegen Hunderter Vermummter im Schwarzen Block versperren Wasserwerfer, Räumpanzer und ein Großaufgebot an Polizisten den Weg vom Hamburger Fischmarkt Richtung Reeperbahn.

Doch nach dem schnellen Abbruch eskaliert die Lage. Zahlreiche Demonstranten flüchten in Richtung Reeperbahn oder Altona. Wenig später meldet die Polizei dort brennende Autos, außerdem zerstörte Scheiben bei einem Ikea-Möbelhaus und einer Sparkasse. Stundenlang liefern sich Linksautonome und Polizisten Scharmützel in mehreren Vierteln. Die Krawallmacher reißen Pflastersteine aus den Straßen, um sie auf Beamte zu werfen. Im Minutentakt fliegen Flaschen, Böller werden gezündet, Verkehrsschilder aus ihrer Verankerung gerissen.

Die Polizei antwortet mit dem Einsatz von Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray. Immer wieder knallt es an einer anderen Ecke, die Lage ist unübersichtlich. „Ganz Hamburg hasst die Polizei“, so schallt es immer wieder durch die Straßen. Die Randale geht weit über das hinaus, was die von den jährlichen 1.-Mai-Demos krawallerprobte Hamburger Polizei gewohnt ist.

„Wir sind entsetzt über die offensichtliche Gewaltbereitschaft“, twittert die Polizei. Auch ihr Sprecher Timo Zill bekommt das zu spüren. Als er unweit des Aufmarschs ein Interview gibt, wird er beworfen und kann sich nur in einen nahe stehenden Rettungswagen flüchten, der ebenfalls angegriffen wird.

Im Stadtteil Eimsbüttel zerstören Chaoten in mindestens zehn Geschäften Schaufenster oder Türen. „Die randalieren nur, um alles kaputtzumachen“, sagt die Filialleiterin einer Modeboutique, die in der Nacht mehr als vier Stunden auf einen Glaser warten muss. Denn der ist gerade bei Jamie Watson von einer gegenüberliegenden Boutique. Und die sagt das, was wohl viele nach dieser Nacht denken: „Ich bin wütend, enttäuscht und habe absolut kein Verständnis. Das hat doch keinen Sinn.“

"Apocalypse Now" - G20-Randale in Hamburg
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"Apocalypse Now" - G20-Randale in Hamburg

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„Total bekloppt“, bilanziert Stephan aus Hamburg. Er kommt nachts gerade von der Arbeit, schiebt sein Fahrrad an der Flora vorbei. „Mir tun einfach die armen Polizisten leid. Sie können am wenigsten für alles.“ Die Veranstalter der Demo schieben der Polizei den Schwarzen Peter zu: „Durch gezielte Angriffe provozierten die Polizeikräfte Gegenwehr und nutzten diese Lage, um eine Situation zu schaffen, in der nichts anderes übrig blieb, als die Versammlung aufzulösen“, schreiben sie in der Nacht in einer Mitteilung.

„Heute hat die Polizei alle behandelt als wären sie gewaltbereit“, sagt Johannes Findeisen empört. Er ist 37 und hat nach eigener Aussage schon mehr als 20 Demonstrationen in Hamburg erlebt. Er findet gut, dass sich so viele an den Protesten beteiligt haben. Trotz der Eskalation sieht er die Höllen-Demo am Fischmarkt als Erfolg der G20-Gegner. Die Polizei habe zwar „ihre Prügeltour“ gestartet. Aber sie seien dann doch losgekommen: „Wir haben heute gegen die Polizei das erste Mal gewonnen am Fischmarkt.“

Die Bilanz der Gipfel-Vornacht ist traurig: Am frühen Morgen zählt die Polizei mindestens 76 Verletzte allein in ihren Reihen. Zahlen über verletzte Demonstranten gibt es zunächst nicht. Ein Sprecher der Hamburger Feuerwehr bilanziert gegen 1.30 Uhr: „Es hätte schlimmer kommen können.“ Doch die Fronten zwischen den Gipfelgegnern und der Polizei sind nun extrem verhärtet. Tausende gewaltbereite Autonome sind in der Stadt. Und der eigentliche Gipfel beginnt erst noch.

Am Morgen des ersten Gipfeltages tritt die sogenannte Allgemeinverfügung in Kraft, mit der das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in zwei Hamburger Innenstadtbereichen eingeschränkt wird. Angemeldete und nicht angemeldete Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel dürfen nur außerhalb der bezeichneten Flächen durchgeführt werden. Im sogenannten Transferkorridor zwischen Flughafen und Innenstadt gilt die Verfügung vom 7. Juli 2017 ab 6.00 Uhr bis 8. Juli 2017, 17.00 Uhr. Im Hafenbereich gilt sie nur am Freitag von 16.00 bis 24.00 Uhr zwischen Reeperbahn und Hafencity.

Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hatte am Donnerstag entschieden, dass die Verfügung voraussichtlich rechtmäßig sei. Demonstrationen des globalisierungskritischen Netzwerks Attac in der Hamburger Innenstadt am Freitag bleiben verboten. Attac kann aber beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Beschwerde einreichen. (dpa)

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