Interview Parteienforscher Korte: "Schulz kann SPD motivieren und mobilisieren"

Wahlkampf wird strittiger und emotionaler.

Mit Martin Schulz seien die Wahlchancen der SPD eindeutig gestiegen, sagt Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.

Mit Martin Schulz seien die Wahlchancen der SPD eindeutig gestiegen, sagt Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte.

Foto: Karlheinz Schindler

Berlin. Nach Einschätzung des Duisburger Politikwissenschaftlers, Karl-Rudolf Korte, ist den Sozialdemokraten mit der Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten ein geschickter Schachzug gelungen, der der Union im Wahlkampf noch Kopfzerbrechen bereiten dürfte. Mit Korte sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter:

Herr Korte, hat Sigmar Gabriel mit seinem Rückzug richtig gehandelt?

Karl-Rudolf Korte: Ja. Gabriel ist ein gewiefter Stratege und immer für Überraschungen gut gewesen. Mit Martin Schulz sind die Wahlchancen der SPD eindeutig gestiegen. Das zeigt schon die Tatsache, dass Schulz auch unter den eigenen Parteimitgliedern deutlich beliebter ist als Gabriel.

Das heißt, Angela Merkel muss sich jetzt warm anziehen?

Korte: Auf jeden Fall kann Martin Schulz stärker mobilisieren. Es wirkt wie ein Befreiungsschlag in der Phase der Deprimierung. Die eigenen Parteigänger dürften jetzt deutlich motivierter in den Wahlkampf gehen. Für die amtierende Kanzlerin wäre Gabriel als Kanzlerkandidat zweifellos bequemer gewesen. Die Union muss sich nun darauf einstellen, überhaupt mal wieder einen Wahlkampf zu führen.

Wie meinen Sie das?

Korte: Angela Merkel steht international im Moment als letzte Vernunftspolitikerin da. In Nachbarländern wie Frankreich oder den Niederlanden drängen die Rechtspopulisten an die Macht. Daraus eine Wahlkampfmelodie mit Merkel zu entwickeln, bedeutet, mit aller Kraft auf das Bestehende sichernd und rational zu setzen. Um bei der Union zu mobilisieren, braucht man aber auch eigene Themen als Legitimation für vier weitere Jahre. Dieser Mühe musste sich die Union bislang nicht unterziehen. Ihr Thema hieß ausschließlich Merkel. Das dürfte sich nun ändern.

Inwiefern?

Korte: Der anstehende Wahlkampf wird ideologischer werden. Auch strittiger und emotionaler. Und genau das kann Merkel nicht wirklich gut.

Innenpolitisch ist Schulz aber noch ein unbeschriebenes Blatt - ein Vorteil für die Union?

Korte: Schulz ist frei, um Merkel politisch attackieren zu können. Er muss sich ja keiner Kabinettsdisziplin unterordnen, da er der Bundesregierung nicht angehört. Das ist ein Vorteil. Positiv kommt hinzu, dass sein Name auch jetzt schon vielen bekannt ist. Insofern ist es geradezu idealtypisch, das noch nicht Etablierte gegen das längst Etablierte, sprich Angela Merkel, angriffspolitisch zu nutzen. Im Übrigen bleibt Schulz bis zum Wahltag im September noch genügend Zeit, um sich auch innenpolitisch zu profilieren.

Wie könnte der "Schulz-Effekt" die anstehenden Landtagswahlen beeinflussen? Im Saarland wird ja schon Ende März gewählt.

Korte: Wir beobachten eine Nivellierung der unterschiedlichen politischen Ebenen. Die Wähler unterscheiden nicht mehr wirklich zwischen Landtagswahl oder Bundestagswahl. Übergeordnete Trends werden gewählt. Deshalb dürfte der Schulz-Effekt, wie Sie es nennen, sicher auch einen Vitalisierungsschub für die SPD im Saarland bringen.

Nach der Bundestagswahl kann die SPD den Kanzler womöglich nur in einer Regierung mit Linken und Grünen stellen. Trauen Sie Schulz Rot-Rot-Grün zu?

Korte: Als langjähriger EU-Parlamentschef hat Martin Schulz bewiesen, dass er mit allen Parteien gut zusammenarbeiten kann. Ich denke, er wird da auch auf nationaler Ebene sehr offen sein. Mit seiner Kandidatur gibt es keine Vorfestlegung auf eine bestimmte politische Konstellation nach der Wahl. Schulz steht für sozialdemokratisches Gestein und moralische Standfestigkeit. Das ist ebenfalls idealtypisch, um sich Koalitionsbildungen offen zu halten.

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