Politik Oppermann: „De Maizière hat seine Hausaufgaben nicht gemacht“

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann über schleppende Abschiebungen, Rüstungsausgaben und Martin Schulz

SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann.

SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann.

Foto: Maurizio Gambarini

Berlin. Geschlossen wie nie gibt sich die SPD derzeit. Auch Fraktionschef Thomas Oppermann unterstützt die Vorschläge von Kanzlerkandidat Martin Schulz für Korrekturen an den Arbeitsmarktreformen — und attackiert die Union auf dem Feld der Asyl- und Verteidigungspolitik. Mit dem 62jährigen Niedersachsen sprach unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff.

Gehen die Hartz-Reformen von Gerhard Schröder wirklich an die Existenz der Betroffenen, wie Martin Schulz sagt?

Thomas Oppermann: Die Agenda-Reformen von 2003 waren notwendig und erfolgreich. Wir hatten fünf Millionen Arbeitslose. Jetzt haben wir die Arbeitslosigkeit halbiert und eine Million offene Stellen. Das war nicht die Leistung von Angela Merkel und der CDU, sondern das war Bundeskanzler Gerhard Schröder. Aber alles hat seine Zeit, 14 Jahre später haben wir eine völlig andere Situation. Wenn heute zum Beispiel ein 53-jähriger, der jahrzehntelang gearbeitet hat, aufgrund des technologischen Wandels arbeitslos wird und ihm nach 15 Monaten Hartz IV droht, dann ist das nicht gut. Das erzeugt Unsicherheit und ist angesichts des Fachkräftemangels auch volkswirtschaftlich unsinnig. Deshalb müssen wir mehr tun, um Arbeitnehmer, die ihren Job verlieren, besser zu qualifizieren.

Wo sehen Sie außer bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I noch Korrekturbedarf?

Thomas Oppermann: Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen hat viel Schaden angerichtet — besonders bei jungen Menschen, die oft jahrelang darauf warten müssen, bis ihnen eine unbefristete Beschäftigung angeboten wird. Die meisten Arbeitnehmer wünschen sich Sicherheit und Flexibilität, das heißt, eine unbefristete Vollzeitarbeit mit der Möglichkeit, auch mal auf Teilzeit und dann wieder zurück in Vollzeit gehen zu können. Dem müssen wir stärker Rechnung tragen.

Das Gesetz über die Teilzeitarbeit hängt derzeit in der Koalition. Rechnen Sie noch damit, dass es durchkommt?

Thomas Oppermann: Wir werden in jedem Fall dafür kämpfen. Aber immer deutlicher wird, dass die Union bei sozialen Verbesserungen auf die Bremse tritt. Wenn wir das in der Koalition nicht durchsetzen können, werden wir es im Wahlkampf zur Diskussion stellen.

Umgekehrt ärgert sich die Union darüber, dass die Maghreb-Staaten noch immer nicht zu sicheren Herkunftsländern erklärt sind.

Thomas Oppermann: Das liegt nicht an uns; wir haben dieses Gesetz im Bundestag verabschiedet. Es sind im Wesentlichen die Grünen, die es im Bundesrat blockieren. Vom Kanzleramt ist versäumt worden, sie rechtzeitig einzubinden.

Bei Abschiebungen ist es ähnlich. Im Bund bekennen Sie sich dazu, aber Länder, in denen Sie regieren, setzen Sie Abschiebungen gar nicht oder nur schleppend um.

Thomas Oppermann: Das Haupthindernis für schnelle Rückführungen liegt auf Bundesebene, nicht bei den Ländern. So bleibt die vereinbarte Einrichtung von zwei großen Einreisezentren für Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern entgegen der Absprache auf Bayern beschränkt. Auch die vom Bund versprochene Einrichtung für die Beschaffung von Ersatzpapieren in Potsdam funktioniert nicht. Innenminister de Maiziere hat seine Hausaufgaben nicht gemacht.

Gilt diese Kritik auch der jetzt bekannt gewordenen Tatsache, dass die Bearbeitungszeit der Asylanträge noch gestiegen ist?

Thomas Oppermann: Ja, ich bin entsetzt. Das Problem liegt allerdings vorrangig bei den Altfällen. Natürlich war eine Beschleunigung 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle nicht möglich. Dass viele Verfahren aus dieser Zeit aber jetzt immer noch nicht abgeschlossen sind, dafür habe ich keinerlei Verständnis. Ein schnelles Asylverfahren und eine schnelle Rückführung sind wichtige Voraussetzungen für die Akzeptanz des Asylrechts in Deutschland.

Wie weit geht die SPD bei Forderungen der Union mit, den Wehrhaushalt zu erhöhen, langfristig auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts?

Thomas Oppermann: Ich sehe nicht, dass der Wehretat in kurzer Zeit um 25 bis 30 Milliarden Euro erhöht werden kann. Dadurch würde im Übrigen auch nicht automatisch unsere Sicherheit steigen. Wir dürfen uns jetzt nicht in einen neuen Rüstungswettlauf drängen lassen. Klar ist, dass wir in Zukunft in Europa für unsere eigene Sicherheit mehr tun müssen. Dazu gehört auch eine angemessene Steigerung des Verteidigungsetats. Aber im Sinne eines umfassenden Sicherheitsbegriffs müssen wir in gleichem Maße auch die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe steigern.

Ursula von der Leyen will auch das Personal der Bundeswehr wieder aufstocken.

Thomas Oppermann: Das zeigt zunächst, dass die gesamte Bundeswehrreform verschiedener CDU- Verteidigungsminister komplett gescheitert ist. Erst hieß es radikale Verschlankung, jetzt heißt es schnelle Expansion. In Wirklichkeit brauchen wir eine genaue Definition, welche Fähigkeiten die Bundeswehr benötigt, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Und das müssen wir in Abstimmung mit unseren europäischen Partnern machen, um gemeinsam mehr Effizienz und Qualität zu erzielen.

Zurück zur Martin Schulz‘ Rede: Geht es nicht eigentlich nur um eine strategische Öffnung Richtung Rot-Rot-Grün?

Thomas Oppermann: Wir führen keinen Koalitionswahlkampf und werden auch keine Koalitionsaussage machen. Die SPD soll stärkste Kraft, Martin Schulz soll Kanzler werden. Wenn die Wähler so entscheiden, dann müssen sich andere an unseren Inhalten orientieren.

Wollen Sie im Fall eines SPD-Wahlsieges lieber in die Regierung gehen oder Fraktionschef bleiben?

Thomas Oppermann:
Ich bin gern Fraktionsvorsitzender und will das bleiben. Mir macht es Freude, die parlamentarische Arbeit für meine Partei zu organisieren und mit der Fraktion inhaltliche Verbesserungen durchzusetzen.

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