Analyse Wahlniederlage: Was die SPD bei der Bundestagswahl alles falsch gemacht hat

Mehrere unabhängige Gutachter durchleuchten den SPD-Wahlkampf und finden viele Gründe für die herbe Niederlage.

 SPD-Chefin Andrea Nahles spricht von einem „harten Bericht“. Sie fordert nun, dass ein Ruck durch die Partei gehen muss.

SPD-Chefin Andrea Nahles spricht von einem „harten Bericht“. Sie fordert nun, dass ein Ruck durch die Partei gehen muss.

Foto: Bernd von Jutrczenka

Berlin. Eine „schonungslose Analyse“ hat noch jeder Verlierer nach krachenden Wahlniederlagen versprochen — doch so gut wie keiner hat sie je vorgelegt. Ex-SPD-Chef Martin Schulz hingegen beauftragte im Dezember eine unabhängige Kommission mit der Arbeit. Am Montag wurde das nicht sehr schmeichelhafte Ergebnis von seiner Nachfolgerin Andrea Nahles im Vorstand und der Öffentlichkeit präsentiert.

108 Seiten ist die Broschüre dick (komplett im Netz unter www.spd.de zu finden), die immerhin noch zwei nach oben zeigende Pfeile auf dem Titelbild zeigt. Dabei ging es selbst nach den desaströsen 20,5 Prozent am 27. September 2017 für die Sozialdemokraten in den Umfragen eher noch weiter nach unten. Dass der Schulz-Hype, der den Herausforderer im Februar 2017 zunächst auf über 30 Prozent gebracht hatte, so massiv einbrach, beruht nach Meinung der Autoren auf einem Bündel von Faktoren.

Durch die späte Benennung des Kanzlerkandidaten neun Monate vor der Wahl habe es praktisch keine inhaltliche und organisatorische Vorbereitung auf die Kampagne gegeben. Das sei der „Kardinal-Fehler“ gewesen, so Ex-Spiegel-Redakteur Horand Knaup, der an der Untersuchung mitwirkte. Man habe alles auf Schulz gesetzt und kein Konzept gehabt, den Markenkern der SPD, Gerechtigkeit, im Wahlkampf für die Bürger zu übersetzen. So seien kaum Unterschiede zur Union kenntlich geworden. „Es wurden zu viele Themen gleichzeitig bespielt und die Partei wirkte am Ende profillos“. Auch dass das Willy-Brandt-Haus, die Parteizentrale, nicht gut funktioniert habe, wird in der Analyse festgestellt.

Mitautor Frank Stauss, der mit seiner Agentur schon zahlreiche SPD-Wahlkämpfe mitorganisiert hat, betonte, die Probleme seien nicht kurzfristig entstanden, sondern in vielen Jahren gewachsen. Nach den Niederlagen 2009 und 2013 sei zudem versäumt worden, die Ergebnisse aufzuarbeiten. Zu den Verfassern gehören auch zwei Demoskopinnen. Man habe völlig unabhängig arbeiten und über 100 Beteiligte befragen können, betonten die Autoren.

Andrea Nahles sprach von einem „harten Bericht“, den sie zwar nicht in jedem Detail teile, der aber „wesentliche Anregungen gebe“. So wolle sie die nächste Kanzlerkandidatur „früher und geordneter klären als bisher“, sagte die Parteivorsitzende. Wie früh genau, ließ sie allerdings offen — sie selbst könnte auf den Posten zugreifen.

Weil die Autoren auch festgestellt hatten, dass die SPD in etlichen Punkten zu viele Rücksichten auf Interessengruppen nehme, forderte Nahles: „Erkennbarkeit braucht klarte Prioritäten“. Sie will nun eine langfristige Themen- und Kommunikationsplanung einführen. Und für inhaltliche Klarheit sorgen, wo es noch Widersprüche gibt. In Sachen Russland gab es deshalb im Parteivorstand schon eine Sonderaussprache. Als nächstes Streitthema wäre die Flüchtlings- und Migrationspolitik dran, wo Nahles „Realismus ohne Ressentiments“ fordert — und vom linken Flügel heftige Kritik erntet. Außerdem müsse es einen „visionären Überschuss“ geben, sagte Nahles. Also Botschaften, die über den Tag hinausgehen.

Nach der Vorstandssitzung wurden am Montag die Beschäftigten des Willy-Brandt-Hauses zu einer Mitarbeiterversammlung geladen, weil nun auch die Parteizentrale umgebaut werden soll, um „ständig kampagnefähig“ zu sein. Nahles“ Forderung an ihre Partei: „Auf alle Ebenen muss ein Ruck durch die Reihen gehen“.

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