Landtagswahl 17 Grüne: Wir sind dann mal weg

Die Partei kämpft in NRW um ihre parlamentarische Zukunft — und hofft dabei auf Unterstützung der Bürgerinitiativen und Umweltverbände.

Landtagswahl 17: Grüne: Wir sind dann mal weg
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Düsseldorf. Donnerstagvormittag stand Sylvia Löhrmann vor dem Bochumer Bahnhof. Die Spitzenkandidatin der NRW-Grünen warb mit Flyern für das NRW-Ticket für zwei Euro am Tag, das ihre Partei vor einem Monat in die ÖPNV- und Wahlkampfdiskussion geworfen hat. Aber vor der Frage, wie das löbliche Projekt politisch umzusetzen sei, quält die Schulministerin derzeit ein ganz anderer Gedanke: ob der Zug für politische Einflussnahme in den nächsten fünf Jahren nicht schon abgefahren ist.

Einer, der ihrer Partei helfen sollte, auf den Zug noch aufzuspringen, war am Donnerstag Parteifreund Winfried Kretschmann — Ministerpräsident von Baden-Württemberg, beliebtester Politiker Deutschlands und (zumal nach seiner fulminanten Wiederwahl vor einem Jahr) grünes Aushängeschild.

Davon ist das Spitzenpersonal der NRW-Grünen derzeit weit entfernt. Löhrmann haften alle Probleme der ohnehin immer unpopulären Schulpolitik an — von der leidigen G8/G9-Diskussion über die Inklusionsdebatte bis zum Unterrichtsausfall. Umweltminister Johannes Remmel, obwohl kein ideologischer Betonkopf, ist von SPD und Opposition erfolgreich zum Verhinderer gestempelt worden. Und Gesundheitsministerin Barbara Steffens agiert unterhalb der Wahrnehmungsgrenze.

Vor einer Woche sahen sich Löhrmann und Remmel daher veranlasst, Alarm zu schlagen. Auf einer hastig anberaumten Pressekonferenz appellierten sie unverhohlen an all die Bürgerinitiativen und Umweltverbände im Land, mit dafür zu sorgen, dass ihr bisheriges parlamentarisches Sprachrohr wieder den Sprung in den Landtag schafft. So niedrig hat man die Latte inzwischen gehängt. Von den 11,3 Prozent bei der Wahl 2012 redet niemand mehr.

Aber selbst den seit Mitte Februar stabil prognostizierten sechs bis sieben Prozent trauen die Grünen nicht über den Weg. Denn im vergangenen Jahr waren sowohl in Rheinland-Pfalz als auch in Mecklenburg-Vorpommern die Prognosen günstiger als das Ergebnis: In Mainz hat es mit 5,3 Prozent so gerade noch gereicht, in Schwerin mit 4,8 Prozent nicht mehr.

Der offensichtliche Umfrageeinbruch der NRW-Grünen erfolgte zwischen Januar und Februar, dem Zeitpunkt, als Martin Schulz die bundespolitische Bühne betrat. Das hielt innerhalb der Partei auch lange als Erklärung her. Doch der Schulz-Hype ist abgeebbt, die Grünen haben sich trotzdem nicht erholt. Nur externe Gründe dafür zu suchen, funktioniert nicht länger. Eine Personaldebatte aber käme zur völligen Unzeit.

Bleiben die Inhalte. Und da gibt es neben Kommunikationsfehlern und Wankelmütigkeiten auch unverschuldete Probleme. Anders als im ländlich und touristisch geprägten Schleswig-Holstein mit seiner grünen Lichtgestalt Robert Habeck geraten im Industrieland NRW Umweltthemen schnell in den Ruch der Arbeitsplatzvernichter. Umso wichtiger sehen die Grünen ihre Korrektivrolle im Parlament, aber Klimawandel, Energiepolitik und ÖPNV dringen derzeit in der politischen Debatte schlicht nicht durch.

Zudem wird die Partei vom Koalitionspartner SPD nicht geschont: Verkehrsminister Michael Groschek hat sich ohnehin auf die Grünen eingeschossen. Und just am Donnerstag rühmte sich Innenminister Ralf Jäger für seine konsequente Abschiebungspraxis bei abgelehnten Asylbewerbern.

In dieser Woche haben die Grünen ein dreiseitiges Sicherheitspapier vorgelegt. „Dabei verstehen wir uns nicht nur als bürgerrechtliches Korrektiv gegen Überwachungsstaatsfantasien, sondern setzen auf eine eigene rechtsstaatliche Agenda für mehr Sicherheit“, heißt es darin. Man wolle die Ängste der Menschen ernst nehmen, aber „keine populistischen Scheinlösungen“ anbieten.

Die Stigmatisierung der Grünen ist bei dem Thema eine andere: Neben selbst verschuldetem Irrsinn wie der völlig missratenen Stellungnahme der Bundesvorsitzenden Simone Peter zum Kölner Polizeieinsatz während der Silvesternacht 2016/2017 trifft die Grünen in der angespannten Sicherheitsdebatte auch der hilflose Gutmenschen-Hass einer verunsicherten Mittelschicht. Weil sie weiter für Minderheiten, Ausländer und Flüchtlinge eintreten, werden ihnen subkutan auch die damit einhergehenden Schwierigkeiten zur Last gelegt.

Am Sonntag, wenn in Schleswig-Holstein und in Frankreich gewählt wird, treffen sich die NRW-Grünen in Bochum noch einmal zu einem kleinen Parteitag, dem sogenannten Parteirat. Dort sollen die 80 Delegierten den Parteianhängern eintrichtern, dass nur mit einer grünen Zweitstimme Umweltschutz, moderne Mobilität und humane Flüchtlingspolitik noch eine Stimme im Düsseldorfer Landtag haben. Zugleich wird die in der vergangenen Woche überraschend verkündete Absage an eine Jamaika-Koalition bekräftigt werden.

Der entsprechende Leitantrag trägt die Überschrift: „Wir haben nichts zu verlieren, außer der Zukunft.“ Man weiß nicht so recht, wer gemeint ist: das Land — oder die Grünen.

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