Kevin Kühnert: „Rot-rot-grüne Bündnisse sollten ernsthafte Optionen werden"

Juso-Vorsitzender Kevin Kühnert war Anführer und Symbolfigur der No-Groko-Bewegung. Jetzt setzt er alles daran, seine Partei neu aufzustellen.

Kevin Kühnert: „Rot-rot-grüne Bündnisse sollten ernsthafte Optionen werden"
Foto: Isabel Schneider

Herr Kühnert, die SPD hat ihren Bericht zur Fehleranalyse im Wahlkampf vorgestellt. Welche Schlüsse zieht die SPD daraus?

Kevin Kühnert: Die Haupterkenntnis ist, dass Parteien, die nicht klar erkennen lassen, wofür sie eigentlich stehen, nicht gewählt werden. Sinngemäß steht da: Wer versucht, es allen recht zu machen, wird es am Ende niemandem Recht machen und damit dann auch völlig zurecht auf die Nase fallen. Das ist das, was wir Jusos auch seit langer Zeit schon sagen. Natürlich ist es gut, möglichst viele Menschen anzusprechen, aber das funktioniert nur, wenn es auch Teile einer Gesellschaft gibt, denen man klar sagt, dass ihre Interessen nicht unsere Interessen sind. Und dass sie Privilegien haben, die nicht gerechtfertigt sind und die wir ihnen nicht weiter zugestehen wollen. So sollte politische Auseinandersetzung laufen und ich hoffe, das haben nach diesem Bericht jetzt auch mal alle verstanden.

Sie haben Ihrer Parteispitze Planlosigkeit vorgeworfen. Wie sieht ein guter Zukunftsplan für die SPD denn aus?

Kühnert: Ich versuche das im Moment in unserem Erneuerungsprozess und auch in der Lenkungsgruppe, in der ich mit Verantwortung trage, immer so zu machen, dass wir vom Abstrakten ins Konkrete kommen. Wir müssen erstmal anfangen uns zu fragen: Wie soll unsere Gesellschaft aussehen — ohne die Zwänge von Haushalt und Steuersystem? Wie sieht ein gutes Leben aus, das nach unseren Wertvorstellungen von Solidarität und Gerechtigkeit funktioniert? Um dann in einem zweiten Schritt zu schauen, ob man gesellschaftliche Mehrheiten dafür gewinnen kann, die auch bereit sind, die Kraft aufzuwenden, damit das Realität wird. Die also auch das notwendige Geld dafür ausgeben wollen. Eine Mischung aus Inhalt, Vision und einer Strategie, was neue politische Bündnisse angeht. Dahin muss die zukünftige Entwicklung der SPD gehen.

Sie sind Teil einer „Lenkungsgruppe“, die sich Gedanken über die Zukunft der SPD machen soll. Was wird da besprochen?

Kühnert: Die Lenkungsgruppen haben aktuell den Auftrag, innerhalb von vier Wochen ein Impulspapier zu schreiben. Darin wollen wir vor allem Fragen stellen, die die Partei im Anschluss diskutieren kann. Mein Anspruch ist natürlich, dass dabei Fragen herauskommen, die schon ein wenig die Richtung vorgeben. Das ist ein Beispiel für die Dimensionen, in denen ich Erneuerung gerne denken möchte.

Muss die SPD wieder weiter nach links rücken und konsequent auf rot-rot-grüne Bündnisse setzen?

Kühnert: Ich bin unbedingt dafür, dass wir daran arbeiten, dass das endlich mal eine ernsthafte Option wird. Es ist jetzt zwar fast zehn Jahre her, dass die SPD gesagt hat, wir schließen Koalitionen mit der Linken nicht mehr per se aus, aber wir haben seitdem auch herzlich wenig dafür getan, dass das eine praktische Möglichkeit wird. Ebenso wenig haben Linke und Grüne etwas dafür getan. Und die einzigen, die davon profitieren, sind seit Jahren die Konservativen, weil die nämlich genau wissen, egal ob Rot-Rot-Grün eine Mehrheit hat oder nicht — und wir hatten die letzten vier Jahre eine Mehrheit — wir kommen ohnehin nicht zusammen, weil wir die ganze Zeit über nur mit dem Finger aufeinander zeigen. Deshalb muss es jetzt endlich Gespräche auf den Spitzenebenen dieser Parteien geben, denn diese müssen am Ende dann so eine Entscheidung treffen.

Brauchen wir die Abkehr von der schwarzen Null? Und stattdessen viel höhere Investitionen in die Infrastruktur oder auch in die Bildung?

Kühnert: Wir brauchen auf jeden Fall höhere Investitionen. Ich glaube nämlich, dass wir eine falsche Vorstellung von Schulden haben. Wenn das Minus auf dem Konto ist, dann sind da Schulden. Aber ich finde fehlende Investitionen in Schule, in Digitales, in Verkehrsinfrastruktur sind eben auch Schulden — nur halt umgeschichtet auf die nächste Generation, die dann ein Problem hat. Ich plädiere also für einen anderen Schuldenbegriff. Dafür muss man gar nicht mal die schwarze Null abräumen, denn Schulden machen ist gar nicht unbedingt links. Aber wenn die Einnahmen, die der Staat hat, nicht reichen, um ausreichend zu investieren, dann hat man drei Möglichkeiten: Nicht investieren, Schulden machen oder Einnahmen erhöhen. Letzteres zum Beispiel über Steuern und zwar bei denjenigen, die auf sehr großen Vermögen in dieser Gesellschaft sitzen.

Die große Koalition kam, Horst Seehofer wurde Innenminister und nun hat die CSU ihren Masterplan Migration aufgestellt und befindet sich einmal mehr im Grundsatzstreit mit der Schwesterpartei. Wie stehen Sie zu all dem?

Kühnert: Zunächst mal kennen wir ja Horst Seehofers Masterplan, den er seit über drei Monaten ankündigt, alle nicht. Was wir aber zur Genüge kennen, ist die CSU und ihre Art, Politik zu machen. Es kann einen nicht ernsthaft überraschen, was von dieser Partei kommt, und ich finde es an allererster Stelle wichtig, dass dem deutlich widersprochen wird. Und zwar auch aus der Koalition heraus. Denn, unabhängig davon, ob die CSU eine Mehrheit für so eine Politik hat, Sprache schafft Tatsachen. Und wo etwas unwidersprochen in der Öffentlichkeit immer und immer wieder wiederholt wird, da setzt es sich irgendwann fest und die Menschen glauben daran. Wenn jemand sagt, Asylbewerberleistungen seien „Asylgehalt“, stellt das die Grundprinzipien unseres Staates derart auf den Kopf, dass ich es für absolut gefährlich halte, das so ohne Widerspruch stehen zu lassen.

Falls es für die Erneuerung der SPD entgegen Ihrer Erwartung doch schon zu spät ist. Gibt es für Sie eine politische Zukunft auch ohne die SPD?

Kühnert: Das kann ich mir nur sehr schwer vorstellen, weil die SPD für mich viel mehr ist als nur eine Hülle, mit der man politisch arbeitet, sondern eben ein sehr identifikationsstiftender Ort. Das schweißt auch mit anderen zusammen, ganz unabhängig davon, was die SPD in der Tagespolitik fabriziert. Dementsprechend ist der Gedanke, in einer anderen Partei politisch zu arbeiten, einer, gegen den sich in mir alles wehrt.

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