Keupstraße — wider das Vergessen

Am Montag jährt sich der NSU-Anschlag in Köln zum zehnten Mal. Mit einem großen Programm erinnert die Stadt an die Opfer.

Keupstraße — wider das Vergessen
Foto: dpa

Köln. Es hätte nicht viel gefehlt und die 19-jährige Mashia M. hätte ihre Neugier mit ihrem Leben bezahlt. Sie wollte wissen, was sich in einer mit Sternen verzierten Christstollendose befindet. Die stand seit einigen Wochen in einem Einkaufskorb hinten im Lebensmittelgeschäft ihres Vaters an der Probsteigasse in der Kölner Innenstadt. Am 19. Januar 2001 hebt die Deutsch-Iranerin den Deckel der Dose und löste damit eine kräftige Explosion aus. Wochenlang liegt sie im künstlichen Koma.

Wie der Sprengsatz in den Laden gekommen ist, war relativ schnell klar: Kurz vor Weihnachten hatte ein junger Mann den Laden des Iraners — des Vaters der damals 19-Jährigen — betreten. Er hatte einen Korb dabei, in den er einige Einkäufe legte. Den Korb ließ er stehen.

Die Ermittlungen blieben zunächst ohne Ergebnis. Erst mehr als zehn Jahre später, nach dem Auffliegen der Neonazi-Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) im Herbst 2011, kommen die Hintergründe ans Tageslicht. Laut Anklage im Münchner NSU-Prozess war es Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt, der den Sprengsatz in dem Laden deponierte.

Auch der zweite noch dramatischere Nagelbombenanschlag am 9. Juni 2004 in der Keupstraße im Kölner Stadtteil Mülheim soll — so das Wissen heute — auf das Konto des NSU gehen. Zu beiden Taten hat sich die Terrorzelle in einem Film bekannt: im perfiden „Paulchen-Panther-Video“, das im Brandschutt der letzten Wohnung des Trios in Zwickau gefunden wurde.

Auch nach dem Anschlag in der Keupstraße laufen die Ermittlungen zunächst ins Leere. Die Polizei schließt, wie sich später herausstellt, vorschnell einen rechtsextremen Hintergrund der Tat aus, bei der 22 Menschen teils schwer verletzt wurden.

Damals ist es 16 Uhr am Nachmittag, als sich das Leben in der Keupstraße für immer verändert. Die Bombe wird vor einem Friseursalon deponiert. Vor allem Kölner, die türkische und kurdische Wurzeln haben, wohnen in der Gegend. Noch heute haben viele das Geschehen nicht verwunden.

Die Polizei verdächtigt, statt im rechtsradikalen Milieu zu ermitteln, die Menschen vor Ort, etwas mit dem brutalen Anschlag zu tun zu haben. Man vermutet bei den Behörden eine Abrechnung im kriminellen Milieu. „Wir haben euch von Opfern zu Tätern gemacht“, sagte Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters später.

Ein großes Kulturfest soll nun am Pfingstwochenende an den zehnten Jahrestag des Anschlags an der Keupstraße erinnern. Am Pfingstmontag werden 70 000 Besucher erwartet.

Bereits heute soll der Anschlag von 2001 Thema beim Münchener NSU-Prozess sein. Am Donnerstag wird Mashia M. in den Zeugenstand treten.

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