Jobcenter fürchten Klagewelle wegen Hartz-IV-Reform

Berlin (dpa) - Opposition und Regierung streiten noch über die Hartz-IV-Reform - obwohl sie nach dem Willen der Verfassungsrichter eigentlich zum 1. Januar 2011 greifen sollte. Jetzt rufen Arbeitsloseninitiativen zu Massenklagen gegen die Jobcenter auf.

BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt appellierte am Dienstag an die Hartz-IV-Empfänger, darauf zu verzichten. Die erhöhten Leistungen würden auf jeden Fall nach Verabschiedung des Gesetzes rückwirkend zum 1. Januar ausbezahlt.

„Eine Flut an Widersprüchen würde unsere Arbeit spürbar beeinträchtigen. Wertvolle Zeit für die Unterstützung von Menschen geht verloren“, sagte Alt. Über die vom Bundesverfassungsgericht zum 1. Januar 2011 verlangte Hartz-IV-Reform verhandelt derzeit noch der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag. Die Gespräche sollen am 7. Januar in Berlin fortgesetzt werden.

Die Opposition hält die von Schwarz-Gelb im Bundestag beschlossene Erhöhung der Regelsätze um 5 Euro auf 364 Euro monatlich nicht für transparent genug begründet. Die SPD-geführten Bundesländer drängen zudem auf erhebliche Nachbesserungen beim Bildungspaket und auf Ausdehnung des Mindestlohns.

Das Erwerbslosen Forum Deutschland, dass auf seiner Internetseite einen Muster-Widerspruch veröffentlichte, rechtfertigte unterdessen sein Vorgehen. Nach dem Verfassungsurteil vom 9. Februar 2010 gebe es für die bisherigen Regelleistungen ab Jahresbeginn keine Rechtsgrundlage mehr. Da die Bundesagentur aber ihre Bescheide weiter auf Grundlage des bisherigen Rechts versende, ohne sie für vorläufig zu erklären, bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

Nach Aussage von Alt sind dagegen die Bescheide bis zu einer Gesetzesänderung rechtskräftig. Widersprüche würden die Jobcenter umgehend ablehnen. Der Klageaufruf entbehre jeglicher Grundlage. „Das kann nicht im Interesse der Gemeinschaft sein und schadet letztendlich nur unseren Kunden“, sagte Alt.

Unterdessen signalisierte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) Entgegenkommen vor allem bei der Bildungsförderung bedürftiger Kinder. „Da bin ich gesprächsbereit“, sagte von der Leyen mit Blick auf die weitere Arbeit im Vermittlungsausschuss der Nachrichtenagentur dpa. Die Diskussion drehe sich darum, „ob wir das Bildungspaket auf die Kinder von Geringverdienern ausweiten“. Es gehe um rund 140 000 Kinder von Wohngeldempfängern.

Von der Leyen rechtfertigte erneut die Entscheidung, die in Aussicht gestellte Erhöhung der Regelsätze nicht bereits vor der abschließenden Einigung von Bundesrat und Bundestag auszubezahlen. „Man kann ohne gesetzliche Grundlage den erhöhten Betrag nicht vorzeitig auszahlen“, sagte sie. „Das ist unverzichtbar und auch gut so, denn es erhöht den Druck nach innen, mahnt uns alle, sich zügig zu einigen.“

BA-Vorstand Alt kündigte in der „Welt“ (Dienstag) neue Konzepte zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit an. „Die Zahl der Ein- Euro-Jobs wird künftig heruntergefahren.“ Arbeitslose sollten intensiver betreut und vermittelt werden. „Im Aufschwung müssen wir alle unsere Kräfte auf eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt konzentrieren“, sagte Alt.

Für diejenigen, die keine Chance mehr auf eine reguläre Stelle hätten, sollte es einen zweiten „sozialen“ Arbeitsmarkt geben. Auch diese etwa 200 000 bis 300 000 Arbeitslosen sollten ein Angebot bekommen. Alt verwies auf staatlich geförderte Integrationsbetriebe. „Viele Menschen wären glücklich über eine einfache Tätigkeit.“ Das Beispiel der Behindertenwerkstätten zeige, dass es durchaus möglich sei, dass Menschen mit schweren Handicaps in die Arbeitswelt integriert werden können.

Das zu Ende gehende „Europäische Jahr gegen Armut und Ausgrenzung“ war aus Sicht des Kölner Sozialforschers Christoph Butterwegge ein „totaler Flop“. Die Armut in Deutschland habe in diesem Jahr sogar noch zugenommen“, kritisierte der Leiter der Abteilung für Politische Wissenschaften an der Uni Köln. Schuld habe die schwarz-gelbe Bundesregierung und besonders die CDU-Arbeitsministerin.

„Ursula von der Leyen posiert zwar gerne für Fotos und singt und lacht dann mit den Armen, substanziell hat sie aber nichts für arme Familien getan“, sagte Butterwegge. Im Rahmen des Europäischen Jahres seien bundesweit 1,4 Millionen Euro zur Förderung von 40 Projekten ausgegeben worden, etwa für Tanz- oder Theaterprojekte. „Das ist keine Armutsbekämpfung.“

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