Inland Gedenken an Terroropfer in Berlin - Ein tiefer Riss und ein Licht aus Bethlehem

Die Staatsspitze gedenkt der Opfer des Terroranschlags an der Berliner Gedächtniskirche. Bundespräsident Steinmeier redet Klartext

 Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt nach der Einweihung der Gedenkstätte mit einem aus Bronze nachempfundenen Riss im Boden an der Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz in Berlin ein Statement.

Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt nach der Einweihung der Gedenkstätte mit einem aus Bronze nachempfundenen Riss im Boden an der Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz in Berlin ein Statement.

Foto: Bernd von Jutrczenka

Berlin. Weiße Rosen, eingravierte Namen und ein goldener Riss. Zwei kleine israelische Fahnen flattern zwischen Grablichtern auf den Stufen vor der Berliner Gedächtniskirche. Das Mahnmal ist ein Symbol. Für den Riss durch die Leben der Hinterbliebenen der zwölf Terroropfer des 19. Dezembers 2016, der über 100 Verletzten und der Helfer. Und für den Riss in der Gesellschaft. „Das Leben ist nicht mehr so, wie es vorher war“, sagt Bischof Markus Dröge in der Gedenkandacht ein Jahr nach dem brutalen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt.

Angela Merkel hält wie alle Teilnehmer ein kleines Glas mit einer Kerze in den Händen, als das Denkmal eingeweiht wird. Es ist das „Friedenslicht von Bethlehem“, das erst am Sonntag nach einer 3000 Kilometer langen Reise angekommen ist in der Gedächtniskirche. So wie vor einem Jahr die israelische Touristin Dalia Elyakim, die unter dem Lastwagen des Terroristen starb. Es sind besonders angespannte, intensive Tage für die Kanzlerin. Letzte Woche besuchte sie den Weihnachtsmarkt, scheinbar spontan, und redete mit Standinhabern und Besuchern. Am Montag empfing sie die Hinterbliebenen der Opfer im Kanzleramt. Einige äußerten sich hinterher enttäuscht über den Verlauf. Den in einem öffentlichen Brief geäußerten Vorwurf der Angehörigen, damals zu kalt reagiert zu haben, bekommt Merkel so nicht weg. „Zu spät“, sei das Treffen gewesen, kommentiert der Opfer-Beauftragte Kurt Beck. Und auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bohrt in seiner Rede bei der Gedenkandacht in der Wunde, als er sagt, für die Angehörigen sei „manche Unterstützung zu spät gekommen und unbefriedigend geblieben".

Kurz vor der Zeremonie an der Gedenkstätte rufen einzelne Personen hinter den Absperrungen laut: „Merkel muss weg, Merkel muss weg“. Die Kanzlerin ist zu diesem Zeitpunkt in der Kirche und hört das nicht. Aber sie kennt die Stimmung. Sie wirkt ungewöhnlich angefasst, als sie nach der Veranstaltung vor die Kameras tritt. Sie sagt, das „schonungslose“ Gespräch mit den Angehörigen habe deutlich gemacht, „ welche Schwäche unser Staat in dieser Situation gezeigt hat“. Sie verspricht, alles Mögliche zu tun, um die Fehler aufzuarbeiten. „Heute ist ein Tag der Trauer, aber auch des Willens, das, was nicht gut gelaufen ist, besser zu machen“.

Anfangen könnte sie da gleich bei dem Mann neben ihr, Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller. Dessen Verwaltung hat den Angehörigen mit der Einladung für die Gedenkfeier auch einen Hinweiszettel geschickt: „Taxikosten werden nicht erstattet. Es müssen öffentliche Verkehrsmittel benutzt werden.“ Das erinnert fatal daran, dass die Rechtsmedizin der Stadt den Hinterbliebenen vor einem Jahr sogar eine Gebühr für die Obduktionen in Rechnung stellte. Am Nachmittag, bei einer Gedenkveranstaltung im Berliner Abgeordnetenhaus, entschuldigt sich Müller „für ein Verwaltungshandeln, dass Sie als demütigend empfinden mussten“.

Steinmeier ist nicht nur in seiner Kritik an der mangelnden Hilfe für die Opfer bemerkenswert deutlich. Er kritisiert auch „vermeidbare Fehler“ der Sicherheitsbehörden und sagt schnörkellos: „Diese Anschlag hätte nie passieren dürfen.“ Der Präsident hinterfragt als einziger zudem die Reflexe der Gesellschaft. „Wir leben weiter wie bisher“, habe es vor einem Jahr trotzig geheißen, und so war es auch. Schnell kehrte wieder Alltag ein, am Breitscheidplatz und anderswo. Manchmal geradezu demonstrativ. Aber, so Steinmeier, auf die Hinterbliebenen habe das wie ein „allzu routinierter Versuch gewirkt, den Schock zu unterdrücken, statt ihn auszuhalten, statt innezuhalten“.

Dieses Innehalten kommt ein Jahr danach umso massiver. Berlins City steht still. Den ganzen Tag über finden Veranstaltungen statt. Vormittags hermetisch abgeschirmt die des Staates, dann die der Zivilgesellschaft. Der Schaustellerverband hat eine Mahnwache am Gedenkort organisiert, abends gibt es eine große Friedenskundgebung. Und mit einem Jahr Verzögerung beginnt auch das, was man befürchten musste: Der Versuch, das Geschehen für ideologische Auseinandersetzungen zu missbrauchen. Die NPD hat für den Abend zur Kundgebung aufgerufen: „Die Grenzen schließen, nicht die Weihnachtsmärkte“, lautet die Losung. Ein „Berliner Bündnis gegen Rechts“ veranstaltet eine Gegendemonstration. Auch eine Gruppe „Berlin gegen Islamismus“ demonstriert in der Nähe. Sie bemängelt, dass auf dem Denkmal nur an die „Opfer des Terroranschlag“ erinnert wird, aber nicht gesagt wird, was es war: Ein islamistischer Anschlag.

Rund um den Weihnachtsmarkt, der für einen Tag geschlossen ist, stehen dicke Betonpoller. Damals fehlten sie. Um 20.02 Uhr läuten die Glocken der Gedächtniskirche. Exakt zum Zeitpunkt des Anschlages. Sie läuten zwölf Minuten lang. Eine Minute für jeden Toten.

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