Trauerakt im Bundestag Gedenken an Kohl: Glücksfall und Verletzungen

Berlin (dpa) - Bundestagspräsident Norbert Lammert hat beim einzigen Trauerakt für Helmut Kohl in Deutschland den Altkanzler als Glücksfall für das Land und Europa - aber auch Schattenseiten in dessen Leben beschrieben.

Trauerakt im Bundestag: Gedenken an Kohl: Glücksfall und Verletzungen
Foto: dpa

„Kohls Weg säumten nicht zuletzt Verletzungen, die er selbst erlitt und die er anderen zufügte“, sagte Lammert in einer Gedenkfeier des Bundestages.

Kohl war am 16. Juni im Alter von 87 Jahren gestorben und in seinem Wohnhaus in Ludwigshafen-Oggersheim aufgebahrt worden. Am Donnerstag wurde der Sarg abgeholt. Ein europäischer Trauerakt ist für den 1. Juli geplant, anschließend soll Kohl auf einem Friedhof in Speyer beigesetzt werden.

Die Gestaltung der Gedenkfeiern für Kohl gilt wegen der Wünsche von Kohls zweiter Ehefrau, Maike Kohl-Richter, als nicht einfach. Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth bedauerte, dass es keinen deutschen Staatsakt geben wird. Sie sagte dem Nachrichtenradio MDR Aktuell: „Das hätte sich anders regeln lassen.“ Auch die Bürger in Deutschland hätten ein Recht darauf, Abschied zu nehmen.

Lammert sagte, Art und Ort der Würdigung einer solch herausragenden politischen Lebensleistung in und für Deutschland seien „bei allem Respekt nicht nur eine Familienangelegenheit“. Der Bundestag sei dafür der bestmögliche Ort. Neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und zahlreichen Mitgliedern ihres schwarz-roten Kabinetts nahmen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie dessen Amtsvorgänger Joachim Gauck und Horst Köhler daran teil. Am Ende erhoben sich die Abgeordneten aller Fraktionen zu einer Schweigeminute. Kein Bundeskanzler war bisher länger im Amt als Kohl, der Deutschland von 1982 bis 1998 regierte. 25 Jahre war er CDU-Vorsitzender.

Am kommenden Dienstag werden viele Bundestagsabgeordnete an einer Totenmesse für Kohl in Berlin teilnehmen. In einem Brief an die Parlamentsmitglieder schrieb Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU): „Viele Kolleginnen und Kollegen haben das Bedürfnis, auch hier in Berlin, in der Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands und am Sitz des Deutschen Bundestages, dem Helmut Kohl von 1976 bis 2002 angehörte, an ihn zu erinnern und seiner zu gedenken.“ Dem Vernehmen nach ist die Totenmesse in der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin auf Einladung von Prälat Karl Jüsten mit Maike Kohl-Richter abgestimmt.

Auch das Berliner Abgeordnetenhaus erinnerte mit einer Schweigeminute an Kohl. Parlamentspräsident Ralf Wieland sagte ferner: „Wir werden nie vergessen, dass Helmut Kohl als Bundeskanzler dafür sorgte, dass die Stadt Berlin in Freiheit ihre geeinte Zukunft gestalten konnte.“

Lammert sagte, die Persönlichkeit Kohls lasse fast niemanden gleichgültig. „Legendär sind seine integrierende Kraft wie seine polarisierende Wirkung - im Übrigen zwischen den Parteien ebenso wie innerhalb der Union.“ In politischen wie privaten Dingen sei Kohls Gedächtnis phänomenal gewesen.

Er erinnerte auch an Kohls Spendenaffäre: „Dass sein Abschied nach dem Verlust der Regierungsverantwortung auch aus der aktiven Politik so wurde, wie es die in der Formulierung seines Biografen Hans-Peter Schwarz die Umstände der „kreativen Verschleierung von Parteispenden“ am Ende erzwangen, hängt wieder mit der außergewöhnlichen, bisweilen auch außergewöhnlich sturen Persönlichkeit Kohls zusammen.“ Merkel hatte im Dezember 1999 als CDU-Generalsekretärin mit einer öffentlichen Distanzierung wesentlich zu seinem Sturz beigetragen.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban schrieb in einem Brief an Maike Kohl-Richter: „Die Arbeit von Helmut Kohl, wodurch er das Land aufbaute, bleibt stets ein Beispiel und ein Kompass.“ Der rechts-konservative Politiker gilt alserbitterter Gegner von Merkels Flüchtlingspolitik.

Für den Nachlass von Helmut Kohl wird nach Angaben des Anwalts Stephan Holthoff-Pförtner eine eigene Stiftung gegründet. Näheres dazu werde aber vor der Beerdigung des Altkanzlers nicht mitgeteilt. Wie der Prozess genau gestaltet werde, sei noch nicht klar, sagte Holthoff-Pförtner dem Magazin „Focus“, das am 24. Juni erscheint. „Vor der Beisetzung werde ich die Frage, wie die Stiftung gestaltet wird, nicht diskutieren. Aber es ist völlig klar, dass sie kommen wird“, sagte der Anwalt von Maike Kohl-Richter. Das habe er bereits 2014 erläutert.

Kohl hatte nach seiner Abwahl 1998 der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zahlreiche Handakten für ihr Archiv in Sankt Augustin bei Bonn zukommen - aber 2010 wieder abholen lassen.

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