Finanzkompromiss sorgt für Spannungen auf EU-Gipfel

Brüssel (dpa) - Kam die Erleichterung zu früh? Auf dem EU-Gipfel gibt es Uneinigkeit über die Finanzplanung der Union für die kommenden Jahre. Vor allem Großbritannien äußert Bedenken.

Vorbehalte Großbritanniens haben beim EU-Gipfel in Brüssel zu neuen Spannungen geführt. Die Staats- und Regierungschefs konnten sich am Donnerstag zunächst nicht auf eine rasche Zustimmung zur EU-Finanzplanung bis 2020 verständigen. Vor allem der britische Regierungschef David Cameron äußerte Bedenken. Die endgültige Verabschiedung ist aber Voraussetzung dafür, dass wie geplant Milliarden für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit freigegeben werden können.

Großbritannien erhält seit 1984 einen Abschlag auf seine EU-Zahlungen, weil es vergleichsweise wenig von den Agrartöpfen der Union profitiert. Zuletzt belief sich dieser „Briten-Rabatt“ auf 3,6 Milliarden Euro pro Jahr (2011). Cameron wehrte sich dem Vernehmen nach gegen mögliche Einbußen von bis zu zehn Prozent durch Änderung bei der Bemessungsgrundlage. Auch beim Sondergipfel im Februar war der „Briten-Rabatt“ nicht in Frage gestellt worden.

„Es ist absolut notwendig, dass wir an der Vereinbarung vom Februar festhalten und dass wir den britischen Rabatt schützen“, sagte der britische Premier.

Auch der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD), äußerte Skepsis: „Ich bin mir nicht sicher, dass das schon unter Dach und Fach ist“, sagte Schulz am Abend zu dem zwischen EU-Parlament und Mitgliedstaaten ausgehandelten Kompromiss über die Finanzplanung, die einen Umfang von insgesamt 997 Milliarden Euro hat.

Er hoffe, dass die Einstimmigkeit beim Gipfel noch zustande komme. „Ich habe nur mitbekommen, dass es noch eine Kontroverse gab“, sagte Schulz, der zu Anfang des Gipfels zu den Teilnehmern gehörte.

„David Cameron ist ein Mann mit einer bestimmten Sicht auf den EU-Haushalt, der mich fürchten lässt, dass man nichts ausschließen kann“, sagte Schulz. „Aber mein Eindruck ist, dass man eine Einigung finden wird.“ Sollte es keine Einigung geben, „dann ist der Deal gescheitert“.

Die EU werde dann keine Finanzplanung, sondern jährliche Haushalte haben. Dies bedeute nicht, dass dann keine Zahlungen für große EU-Programme mehr geleistet werden könnten: Derzeit schaffe das Parlament die Voraussetzungen dafür, dass 72 Programme auch „in einem jährlichen Prozess“ auf die Haushaltsliste gesetzt werden könnten.

Auf ihrem zweitägigen Mammuttreffen wollten die Staatenlenker zudem mit Hilfe der Europäischen Investitionsbank (EIB) auch Maßnahmen vereinbaren, um die gefährliche Kreditklemme für mittelständische Unternehmen in Krisenländern zu überwinden.

Hauptaugenmerk lag aber auf dem Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Vor allem Spanien und Italien pochen auf Hilfen. In den 27 EU-Ländern sind 5,6 Millionen Jugendliche und junge Erwachsene ohne Arbeit. Dazu sollen sechs Milliarden Euro, die in den EU-Töpfen bis Ende des Jahrzehnts eingeplant sind, schon in den nächsten beiden Jahren ausgegeben werden, um junge Menschen in Arbeit zu bringen.

Einen Blankoscheck soll es jedoch nicht geben: „Die Milliarden können nützlich sein, wenn es mit den nötigen Reformen verbunden wird“, so der niederländische Regierungschef Mark Rutte.

Unmittelbar vor dem Gipfel bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Forderung nach mehr globaler Wettbewerbsfähigkeit. Thema des Gipfels sei deshalb neben der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vor allem eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung, wie sie Deutschland und Frankreich gefordert hätten. „Es geht nicht vorrangig darum, immer wieder neue Töpfe zu schaffen“, sagte die Kanzlerin.

Die Kanzlerin traf am Rande des Gipfels mit dem zyprischen Präsidenten Nikos Anastasiadis zusammen. Dabei ging es nach Angaben aus Delegationskreisen um die Umsetzung des vereinbarten Reformprogramms und um die allgemeine Lage in Zypern. Die klamme Inselrepublik hatte im Frühjahr ein Hilfsprogramm von zehn Milliarden Euro erhalten, um eine Staatspleite zu verhindern.

Längerfristig hält Merkel einen Solidaritätsfonds für die Euro-Länder für denkbar, wie sie im Bundestag bekräftigte. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gab Merkel eine Mitschuld für die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa.

In der Nacht vor dem Treffen einigten sich die EU-Finanzminister zudem darauf, dass in Schieflage geratene Institute in Europa künftig als erstes von den Aktionären und Kunden gerettet werden - und nicht mehr allein von den Steuerzahlern. Kleinsparer mit Einlagen bis 100 000 Euro sind dabei geschützt. Vermögende Sparer und kleine Unternehmen mit Einlagen oberhalb dieser Grenze sollen erst zum Schluss an der Reihe sein. Das EU-Parlament muss noch grünes Licht geben.

Auf dem Programm des zweitägigen Spitzentreffens stand auch die Haushalts- und Budgetüberwachung. Defizitsünder bekommen mehr Zeit zum Sparen. An dem EU-Sommergipfel nahm auch Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic teil. Sein Land wird am 1. Juli als 28. Mitgliedstaat in die Union kommen.

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