FDP: Weggefährte zweifelt an Lindners Führungsstil

Der frühere Landtags-Vizepräsident Gerhard Papke rechnet auf 232 Seiten mit Parteichef Christian Lindner ab, dessen Karriere er von Anfang an begleitete. Er beschreibt Lindner als geprägt von Ehrgeiz, Selbstverliebtheit und Risikoscheu.

 Lindner-Weggefährte Gerhard Papke hat ein Buch über den neuen Stern am Hillem der Liberalen geschrieben.

Lindner-Weggefährte Gerhard Papke hat ein Buch über den neuen Stern am Hillem der Liberalen geschrieben.

Foto: Martin Gerten

Düsseldorf. Stabile acht Prozent in den Umfragen, keine 80 Tage mehr bis zur Bundestagswahl — das sind keine Vorzeichen, die den Bundesvorsitzenden Freien Demokratischen Partei schlecht schlafen lassen werden. Das wird auch das Buch seines früheren Freundes und Weggefährten Gerhard Papke nicht, der einräumt, dass das starke Abschneiden der FDP bei den zurückliegenden Wahlen es ihm erheblich erleichtere, „auch mit kritischen Anmerkungen an die Öffentlichkeit zu gehen“. Oder wie der frühere Büro- und Weggefährte Lindners es gleich auf Seite 11 formuliert: „Vielleicht ist meine Ernüchterung namentlich über Christian Lindner deshalb so groß, weil ich um seine herausragenden Begabungen weiß.“

Gerhard Papke (56), von 2005 bis 2009 Fraktionsvorsitzender der FDP im NRW-Landtag und von 2012 bis zum 31. Mai 2017 Vize-Präsident des Landtags, schildert in seinem heute erscheinenden 200-Seiter „Noch eine Chance für die FDP?: Erinnerungen und Gedanken eines Weggefährten“ seine extrem nahe Begleitung der politischen Karriere Lindners von 1998 an über die ersten Landtags-Erfahrungen, die Chaos-Jahre der Möllemann-Affäre, die Koalition mit der Rüttgers-CDU, den Absturz der Partei und ihr Wiedererstarken bis zum politisch-persönlichen Zerwürfnis, das im September 2016 in Papkes Erklärung mündete, nicht wieder für den NRW-Landtag kandidieren zu wollen. Ganz unabhängig seines Zwecks ist Papkes sehr subjektive Politik-Erzählung eine äußerst interessante Schilderung der zurückliegenden 20 Jahre Landespolitik und ihrer Hauptdarsteller.

Im Kern wirft Gerhard Papke dem 14. FDP-Vorsitzenden seit Theodor Heuss vor, politische Überzeugungen immer wieder taktischer Beliebigkeit zu opfern und damit die Glaubwürdigkeit der Partei zu ruinieren. Aus Sicht des früheren Landtags-Vizepräsidenten hat die FDP in ihrer wechselvollen Entwicklung „wesentliche Richtungsentscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik bewirkt, weil sie bereit war, ihre Existenz für ihre Haltung aufs Spiel zu setzen: Bei der Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft Ende der vierziger Jahre, der Entspannungspolitik ab Ende der sechziger und der Rückbesinnung auf Marktwirtschaft und Wettbewerb Anfang der achtziger Jahre.“

Für diese Weichenstellungen stünden Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff. „Christian Lindner hingegen verfolgt eine Politik systematischer Risikominimierung“, schreibt Papke. Das sei für den jüngsten Parteivorsitzenden in der FDP-Geschichte „eigentlich erstaunlich, wenn man ihn nicht näher kennt“. Lindner vermeide genau kalkulierend Positionen, mit denen er eine umstrittene politische Debatte auslösen könne. „Lindner setzt darauf, dass die Fehler der anderen Parteien der FDP schon die nötigen Stimmen bringen werden. Sie soll deshalb auf keinen Fall unangenehm auffallen. Lindners Tonalität folgt überaus geschmeidig dem Zeitgeist. In die neue FDP lässt sich vieles hineininterpretieren. Sie wird zur Projektionsfläche unterschiedlichster Erwartungen“, so Papke.

Wie fremd Papke diese Haltung ist, zeigt seine Schilderung des Entscheidungsprozesses, der dazu führte, dass die die FDP-Landtagsfraktion mit der Haushalts-Ablehnung 2012 Neuwahlen in NRW erzwang — zu einem Zeitpunkt, als Partei in den Umfragen bei zwei bis drei Prozent lag und trotzdem die Losung „lieber neue Wahlen als neue Schulden“ ausgab: „Weil wir an unserer politischen Überzeugung festhielten, wurden die Mitglieder der FDP-Landtagsfraktion als Deppen und politische Selbstmörder verlacht. Keine zwei Monate später wurde dann unser Mut gerühmt. Stimmungswechsel in der Politik vollziehen sich manchmal in atemberaubendem Tempo.“ Weshalb Papke grundsätzlich nichts auf sie gibt.

Für Lindners Karriere ist es nicht ohne Witz, dass ihn Papkes Halsstarrigkeit 2012 vor einem massiven Karriere-Knick bewahrte: Ohne die Entscheidung, das sinkende Berliner FDP-Schiff zu verlassen und stattdessen als Spitzenkandidat in NRW anzutreten, wäre Christian Lindner anderthalb Jahre später mit der Partei aus dem Bundestag geflogen und hätte ohne parlamentarische Basis und Mandat auch als inzwischen FDP-Bundesvorsitzender keine Bühne mehr gehabt. Das konnte 2012 niemand vorhersehen: „Wenn ich auch von seiner späteren Politik enttäuscht bin, so weiß ich andererseits doch sehr genau, was die FDP Christian Lindner zu verdanken hat. Ich wäre der Letzte, dies zu leugnen“, so Papke, dessen Enttäuschung wohl nicht zuletzt darin begründet ist, dass Lindner aus dem gewonnenen Wagnis kein Verhaltensmuster ableitete. Neu war Papke das nicht, der den ganz jungen Linder des Jahres 1998 so in Erinnerung hat: „Hinter seinem häufig inszenierten, etwas arg großspurigen Auftreten steckte ein hochbegabter junger Mann mit hellwachem Verstand und außergewöhnlicher Verbalisierungskompetenz. Aus dem würde mal etwas werden. Konkurrieren mit seiner Begabung konnten allenfalls noch sein Ehrgeiz und seine Selbstverliebtheit.“

Lindner war 19 Jahre alt, als er 1998 als Zivildienstleistender an die Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung in Gummersbach kam, wozu Papke gleich anmerkt: „Wenige Jahre später wechselte er übrigens als Reserveoffizier in die Bundeswehr und machte dort, wen mag es wundern, eine Blitzkarriere.“ Papke arbeitete in Gummersbach als Wissenschaftlicher Referent und war für die „Grundlagen und Perspektiven des Liberalismus“ und war zugleich mit einer halben Stelle als Redenschreiber des Klever Bundestagsabgeordneten Paul Friedhoff tätig. Zu Papke flüchtete Lindner — damals bereits Porschefahrer und seiner Auffassung nach PR-Berater — vor seinen Hausmeister-Aufgaben wie dem Rasenmähen: „Aus meiner Beobachtung empfand der junge Lindner derartige Beschäftigungen geradezu als Höllenqualen, als eine Art permanente Majestätsbeleidigung.“

Ab dem Jahr 2000 teilten sich die Landtagsabgeordneten Lindner und Papke ein Abgeordneten-Büro. Papke beobachtete, wie Linder („Der Junge verstand etwas vom Showgeschäft.“) sich im Laufe der Zeit immer mehr veränderte: „Viele Jahre konnte der hochbegabte, selbstverliebte Christian Lindner noch über sich selber lachen. Als er FDP-Parteivorsitzender wurde und ihn die Bundeskanzlerin regelmäßig zum Gespräch empfing, verlernte er es.“ Die Offenheit, mit der der „Weggefährte“ (Buchtitel) über Lindner urteilt, könnte zu dem Missverständnis verleiten, Papke schreibe das alles aus verletzter Eitelkeit auf. Wahrscheinlich ist das nicht: „Ich war nicht der Einzige, der Christian Lindner dazu riet, sich der Themen anzunehmen, an die andere Parteien sich nicht recht herantrauten, obwohl sie nicht ohne Grund von der Bevölkerung als besonders dringlich betrachtet wurden“, beschreibt Papke den Beginn eines inhaltlichen Zerwürfnisses, das sich spätestens 2014 abzeichnete.

Schon 2005 war Papke dafür eingetreten, sich konsequent mit islamistischem Extremismus zu beschäftigen, die „Wehrhaftigkeit unserer Werteordnung unter Beweis“ zu stellen und anzuerkennen, was in Nordrhein-Westfalen „in der Vergangenheit beim Thema Integration versäumt worden war. Diese Fehler zu benennen, war die Voraussetzung für nötige Korrekturen“. Was Papke nicht schreibt: Darin hätte für die FDP auch die Chance gelegen, mit den antisemitischen Ausfällen der Ära Möllemann erkennbar und vor aller Augen abzuschließen. Stattdessen erlebte Papke, wie Lindner 2015 bei „Anne Will“ dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, vorwarf, er „vergifte“ das gesellschaftliche Klima. Schuster hatte darauf hingewiesen, viele Flüchtlinge flöhen zwar vor dem Terror des „Islamischen Staates“, entstammten jedoch Kulturen, deren fester Bestandteil der Hass auf Juden und Intoleranz sei, auch gegenüber der Gleichberechtigung von Frau und Mann und dem Umgang mit Homosexuellen.

Er habe Lindner schon Anfang 2014 geraten, die Politik Erdogans öffentlich in Frage zu stellen, so Papke: „Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die anderen politischen Parteien das noch nicht getraut. Wenn Lindner Profil gewinnen wollte, musste er es wagen, auch schwierige Debatten als Erster anzustoßen. So verstand ich ohnehin die Rolle der reformierten, von Lobbyeinflüssen befreiten FDP, die doch neue Wege gehen wollte.“ Stattdessen habe Lindner dann auf dem Dresdner Parteitag Bundespräsident Joachim Gauck für den Mut gelobt in Ankara die Entwicklung von Demokratie, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei kritisch zu hinterfragen. Papke: „Trotz unserer langjährigen Freundschaft war ich bestimmt nicht der Einzige, der dem Parteivorsitzenden Themen ans Herz legte. Und es war natürlich seine Entscheidung, was er davon aufnahm und was nicht. Aber ich bemerkte bei ihm in diesen Wochen und Monaten generell eine zutiefst zögerliche Grundhaltung bei der Ansprache politischer Themen. Christian Lindner wollte vor allem eins: Er wollte nicht anecken.“

Papke wollte zumindest Ecken zeigen — und legte im Oktober 2014 gemeinsam mit Bijan Djir-Sarai, dem Vorsitzenden des FDP-Bezirksverbands Düsseldorf zum Islamismus ein Papier mit dem Titel „Für eine Werteoffensive und die Rückbesinnung auf die wehrhafte Demokratie“ vor (im Buch ist der Text inklusive seiner Thesen noch einmal vollständig abgedruckt). Papke beschreibt, wie Linder anschließend „richtig tief in den Instrumentenkasten“ gegriffen habe, „um über seine wichtigsten Helfer in Fraktion und Vorstand, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Joachim Stamp und Generalsekretär Vogel“ das Islamismuspapier „umgehend aus dem Verkehr zu ziehen“. Was zunächst aber — so Papkes Schilderung — nicht so recht gelang. Vor dem geplanten Showdown warb Papke demnach am 28. November 2014 in nicht-öffentlicher Sitzung der Landtagsfraktion mit Bijan Djir-Sarai für die Fortsetzung des Diskussionsprozesses: „Christian Lindner reagierte derart aggressiv, wie ich es bei ihm in all den Jahren noch nie erlebt hatte. Er wetterte gegen meine Vorgehensweise und warnte davor, die FDP in ein schiefes Licht zu rücken. Die Mehrheit der Anwesenden war angesichts dieses Ausbruchs erkennbar ähnlich perplex wie ich. Aber die intensive Aussprache zeigte, dass viele Kollegen aus Vorstand und Fraktion die von uns angeregte Islamismusdebatte für richtig hielten.“

Niemand in der FDP-Führung, so Papke, habe die Autorität des Parteivorsitzenden schwächen wollen, „ich schon gar nicht. Das musste ihm klar sein, so gut, wie wir uns kannten.“ Dass Lindner „diese Geschichte ohne Not und Vorwarnung derart hochgejazzt und meine öffentliche Diskreditierung in Kauf genommen“ habe, habe er aushalten können und sei weniger zornig als betrübt gewesen: „Denn mir war klar, dass unsere Zusammenarbeit von nun an eine andere sein würde. Vor allem aber keimten in mir Zweifel an Lindners Führungsstil. Dabei ging es gar nicht um mich oder unser persönliches Verhältnis. Es ging um etwas ganz anderes. Eine Partei, die nach Auffassung ihres Vorsitzenden den “Mut zu radikalen Problemlösungen„ zum Markenzeichen ihres Wiederaufstiegs machen wollte, durfte nicht gleich kuschen, wenn ihr dann und wann der Wind ins Gesicht blies.“

Das Ende der Gemeinsamkeiten zwischen Lindner und Papke markiert dann der FDP-Landesparteitag vom April 2015 in Siegburg: „Wer meint, Guido Westerwelle habe die FDP dominiert, hat noch keinen Bundesparteitag mit Christian Lindner erlebt. Hinter den Kulissen erkennt man das noch viel besser.“ Man dreht Papke nach drei Minuten das Mikrofon ab; er hält es für schwer vorstellbar, dass das nicht auf Anweisung geschah.

Papke will die Rolle seiner Partei weiter mit dem besonderen Interesse des Weggefährten begleiten. Er hält es für selbstverständlich, dass sich die FDP nicht ausschließlich auf eine Partei als Koalitionspartner reduzieren dürfe. „Aber der skizzierte Wandlungsprozess der Partei beinhaltet auch die Gefahr, Koalitionsfragen allein nach machtpolitischer Opportunität zu entscheiden. Schließlich treten normative Grundentscheidungen bei der neuen FDP in den Hintergrund. Christian Lindner räumt selber ein, dass er sich nicht an konservative Wähler wendet. Jeder wird für sich entscheiden, ob er diese Haltung richtig findet oder nicht“, so Papke.

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