Cem Özdemir über Yücels Freilassung: "Offensichtlich braucht die Türkei deutsches Geld"

Deniz Yücel ist am Freitag aus einjähriger Untersuchungshaft in der Türkei freigelassen worden. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir erinnert daran, dass weiterhin 150 türkische Journalisten im Gefängnis sitzen.

 „Die Türkei bleibt ein Willkür-Regime“: Cem Özdemir(Grüne).

„Die Türkei bleibt ein Willkür-Regime“: Cem Özdemir(Grüne).

Foto: Felix Kästle

Berlin. Der türkischstämmige Grünen-Politiker Cem Özdemir hat sich erleichtert über die Freilassung des seit mehr als einem Jahr inhaftierten Journalisten Deniz Yücel gezeigt. Eine Entwarnung im angespannten deutsch-türkischen Verhältnis sei das aber nicht, sagte Özdemir im Interview.

Herr Özdemir, ist die türkische Regierung jetzt zur Vernunft gekommen?

Cem Özdemir: Die Freilassung von Deniz Yücel ist natürlich sehr erfreulich. Ich freue mich für seine Familie und alle seine Freunde, zu denen ich mich auch zählen darf. Allerdings wäre es sehr naiv, daraus den Schluss zu ziehen, dass sich am Charakter des Regimes in Ankara irgendetwas geändert haben könnte. Das zeigt schon die Tatsache, dass Deniz trotzdem noch bis zu 18 Jahre Haft drohen. Vergessen werden darf auch nicht, dass über 150 türkische Journalisten weiter im Gefängnis sitzen, denen nichts anderes zur Last gelegt wird, als ihren Job gemacht zu haben. Die Türkei bleibt ein Willkür-Regime. Daran ändert die Freilassung nichts.

Welche Motive stecken hinter der Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt?

Özdemir: Offensichtlich braucht die Türkei deutsches Geld, deutsche Investitionen und deutsche Touristen dringender denn je. Da passte die Haft von Deniz nicht mehr in die Landschaft. Unter Präsident Erdogan ist die Türkei immer mehr in Richtung Konfrontation und Isolation gegangen. Das beginnt nun auch, der türkischen Volkswirtschaft zu schaden. Umso mehr braucht Ankara die Annäherung an Europa.

Wer hat in der Bundesregierung den größten Anteil an Yücels Freikommen — Kanzlerin Merkel oder Außenminister Gabriel?

Özdemir: Vor allem war es der Druck der Öffentlichkeit, der dazu geführt hat, dass die Bundesregierung insgesamt nicht nachlassen durfte. Und diesen Druck der Öffentlichkeit brauchen wir weiter, denn wir dürfen auch die verfolgten Menschen in der Türkei nicht vergessen, die nicht das Privileg haben, einen deutschen Pass zu besitzen.

Halten Sie es für möglich, dass die Freilassung ohne konkrete Gegenleistung der Bundesregierung zustande kam?

Özdemir: Nein, das kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Die Frage ist eher, worin diese Gegenleistung besteht. Sie sollte nicht darin bestehen, dass wir im Gegenzug das türkische Militär weiter aufrüsten. Das hat auch Deniz immer klar abgelehnt. Schließlich richten sich diese Waffen auch gegen Menschen im eigenen Land. Und gegen Kurden, die erfolgreich gegen Terroristen gekämpft haben.

Kann die frohe Botschaft aus Ankara zum Startsignal für eine Normalisierung der deutsch-türkischen Beziehungen werden?

Özdemir: So lange Erdogan in der Türkei das Sagen hat, werden diese Beziehungen angespannt bleiben, kann das Land nicht EU-Mitglied werden. Ankara ist kein verlässlicher Partner. Die Regierung ist nicht vertragstreu, und die Menschenrechte werden dort mit Füßen getreten. Insofern ist das auch kein Signal der Entwarnung. Niemand darf sich von der Freilassung blenden lassen. Nichts ist normal in der Türkei. Nach wie vor muss dort jeder jederzeit damit rechnen, Opfer von Erdogans Schergen zu werden.

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