Altes Video als Viral-Hit Wahlkampf: Christian Lindners dornige Chancen

Der FDP-Chef polarisiert als „Vollblut-Schnösel“ und blinkt beim Rennen um Platz 3 im Bundestag offenkundig nach rechts.

 Christian Lindner (Archivbild) polarisiert.

Christian Lindner (Archivbild) polarisiert.

Foto: dpa

Berlin/Wermelskirchen. Der Kandidat nahm es mit Humor: Am späten Mittwochabend twitterte Christian Lindner über ein Video, das ihn als Schüler der 13. Klasse am Wermelskirchener Gymnasium zeigt, das sei „Gründerkultur 1.0“ gewesen.

„Stern TV“ hat ein Video bei Facebook verbreitet, dass 1997 für das Jugendmagazin „100 Grad“ von Deutsche Welle TV gemacht wurde und (so der Moderator) zwei Jungs zeige, die zwar noch zur Schule gingen, aber so aussähen wie die „Titelblattmodels vom manager magazin“ und das wohl auch gut fänden.

„Mit 18 Jahren Vollblut-Schnösel, heute Spitzenpolitiker“, urteilte dazu beispielsweise der „Express“. Im Video schöpft der Business-Bubi aus dem Erfahrungsschatz seines damals 18-Jährigen Lebens profunde Kalenderblattweisheiten wie „Probleme sind nur dornige Chancen“. Die sofortige Häme der „heute-show“ war ihm damit sicher:

Lediglich die rheinland-pfälzische CDU-Politikerin Julia Klöckner sprang Lindner bei:

Seit Wochen bekommt Christian Lindner, der das Haupt-Plakatmotiv seiner Partei ist, im Internet richtig Stoff — keiner polarisiert so wie FDP-Vorsitzende, von dem es mehr als 40 verschiedene Plakatmotive geben soll. Doch es sind weniger Jugendsünden, wie das Bübchen-Video mit der scheußlichen Krawatte, die an Lindner irritieren: Auf den letzten Metern des Wahlkampfs blinkt das 38-jährige Ein-Mann-Programm zusehends nach rechts.

Erst Anfang August die Sache mit der Krim, dann das „Bild“-Interview mit der Schlagzeile „Alle Flüchtlinge müssen zurück!“, dann ein Selfie mit dem Anwalt der rechtspopulistischen Autoren Matthias Matussek und Akif Pirinçci. Das reichte für Lorenz Maroldt, Chefredakteur des „Tagesspiegel“, um vor einem Wahlchat der „Welt“ mit FDP-Chef Christian Lindner die Frage zu stellen, „ob das Rechtsaußen-Geschmuse nach der Wahl fortgesetzt wird“. Ungewöhnlich dünnhäutig beschwerte sich Lindner, das sei ein „faktenfreier Tiefschlag“.

Immerhin: Er muss gesessen und Lindner geschmerzt haben. Denn das Selfie mit dem politisch umstrittenen Anwalt Steinhöfel verschwand von Lindners Facebook-Seite — während der Anwalt es weiter für sich nutzt.



Und in der Sache hat Tagesspiegel-Chef Maroldt durchaus recht, zumal Lindner sich nicht nur mit Steinhöfel ablichtete, sondern im auch für dessen Blog ein Interview gab. Das alles zusammen reichte dann für Huffingtonpost.de, um sich der ganzen Geschichten und den Hintergründen rechtspopulistischen Nebenfiguren unter der Überschrift „Vorwurf Rechtspopulismus: Ein Selfie von Christian Lindner wirft Fragen auf“ anzunehmen.

Und wieder reagierte der FDP-Chef etwas überreizt bei Twitter, indem er sich beklagte, die Autoren der Huffington Post erwähnten „null“, dass er in dem Interview mit Steinhöfel „eine krasse Trennline“ zur AfD ziehe.

Die Frage wäre eher, warum der Bundesvorsitzende und Spitzenkandidat der Freien Demokraten dem Rechtsbeistand rechtspopulistischer Autoren ohne Verbreitungskontrolle ein Videointerview gibt — in dessen Auto, auf dem Besucherparkplatz des NDR in Hamburg? Lindners „Rankuscheln an den rechten Rand“ machte auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil bei Twitter zum Thema:




Die Huffington Post berichtet, ein Sprecher Lindners habe sich auf Anfrage nicht äußern wollen, ob dem FDP-Chef bekannt war, mit wem er sich zum Interview traf — um dann minutiös aufzulisten, in welchem Umfeld Anwalt Steinhöfel sich bewegt. Der ist getreu der ihm eigenen Kommunikationsart (die „Zeit“ 2007 über ihn: „Rüpel aus Leidenschaft“) inzwischen dazu übergegangen, die Autoren von huffingtonpost.de als „Investigativchen aus dem HuPo-Land“ und „Interview-Polizei“ zu bezeichnen.

Steinhöfels bekanntester Client, der frühere Katzen-Krimi-Autor Akif Pirinçci, hat am Montag nach der Bundestagswahl einen Auftritt als Angeklagter vor dem Amtsgericht Dresden — wegen Volksverhetzung. Dem Angeklagten wird laut Pressemitteilung des Amtsgerichts vorgeworfen, „am Abend des 19.10.2015 am Theaterplatz in Dresden als Gastredner bei einer Versammlung des Pegida e.V. vor mehr als 20.000 Zuhörern gegen in der BRD lebende Menschen muslimischen Glaubens und muslimische Flüchtlinge in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass aufgestachelt zu haben“.


Unter anderem soll Pirinçci laut Amtsgericht „Flüchtlinge als „Invasoren“ bezeichnet und suggeriert haben, bei ihnen handele es sich um „Nutz- und Kulturlose“, um „künftige Schlachter“ Deutschlands und um „bestellte Mörder“, die Deutschland und die Lebensart der Deutschen vergewaltigten“, heißt es weiter. Im Zusammenhang mit dem Thema Familiennachzug von Flüchtlingen solle der Angeklagte dabei von einer "vorzüglichen Moslemmüllhalde" gesprochen haben, von der künftig bestimmt werde, „dass die deutsche Bevölkerung in einer Müllhalde zu leben habe.“

Laut eines Berichts der Welt kommt es zu der Hauptverhandlung, weil Pirinçci im Februar gegen einen entsprechenden Strafbefehl (Geldstrafe: 11.700 Euro) Widerspruch eingelegt hatte. Steinhöfel hatte Pirinçci 2015 gegen diverse Medien vertreten, die aus der Pegida-Rede falsch zitiert haben sollen. In einem Stern-Interview antwortete Steinhöfel auf die Frage, ob er glaube, dass die Vertretung Pirinçcis negative Auswirkungen auf seinen Ruf haben könne: „Natürlich nicht.“

Pirinçci ist ein Wiederholungstäter. Zuletzt wurde er in Bonn im März für ein Pamphlet zur Kölner Silvesternacht wegen Beleidigung und Volksverhetzung zu 5100 Euro Geldstrafe verurteilt. Laut „Bonner Generalanzeiger“ war dies die dritte Verurteilung innerhalb von wenigen Jahren.

Mag sein, dass Christian Lindner all das entgangen ist. Und auch, dass Steinhöfel auf einem bis heute auf seiner Internetseite nachzulesenden Text aus 2011 die FDP als „eine unwählbare Trümmerpartei“ bezeichnet.

Doch das erklärt nicht, warum der Bundesvorsitzende und Spitzenkandidat der Freien Demokraten dem Rechtsbeistand rechtspopulistischer Autoren ohne Verbreitungskontrolle ein Videointerview gibt — in dessen Auto, auf dem Besucherparkplatz des NDR in Hamburg.

Nach seinem „Alle Flüchtlinge müssen zurück!“-Interview mit Bild kritisierten vor allem Linke und Grünen den FDP-Chef: „Wer Gauland rechts überholt, gibt Freiheit und Liberalismus auf“, so Linken-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch. Renate Künast (Grüne) warf der FDP vor, sie befinde sich offensichtlich „im Wettbewerb mit der AfD“. Die Hände rieb sich freilich CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer: „Wir werden uns dieses Interview gut aufbewahren, denn wenn es nach der Wahl für Schwarz-Gelb reicht, werden wir einfordern, dass Herr Lindner im Koalitionsvertrag auf Punkt und Komma alles mit uns umsetzt.“ Focus-online hielt Lindner vor, in der Flüchtlingsfrage seine eigene Partei zu verraten. Und bei Twitter wurde Lindner daran erinnert, dass er — ebenfalls in der „Bild“ — Teil der „Refugeeswelcome“-Kampagne des Blattes war:



Eine Erklärung: Die FDP ist offenbar überzeugt, dass sie beim Kampf um Platz drei bei der Bundestagswahl Stimmen braucht, die sie wohl nur von der AfD holen kann. Oder wie es der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki dieser Tage in einem Interview formulierte: „Es gibt in jeder Gesellschaft zwischen zehn und 17 Prozent Durchgeknallte, Antidemokraten und Verschwörungstheoretiker. Die haben früher überwiegend nicht gewählt, jetzt haben viele von ihnen in der AfD ein Ventil gefunden.“

Politisch wirklich schaden dürfte Lindner nur sein außenpolitischer Irrlauf zur Krim, für den er reichlich Gegenwind bekam, zuletzt von der Kanzlerin:



Derweil macht nun die selbsternannte “ Tierrechtsorganisation“ Peta Jagd auf den angehenden Jäger Lindner:



Lindner hatte kürzlich bei einem Mediendienst den Homescreen seines iPhones mit einer App zur Vorbereitung auf die Jägerprüfung gezeigt und dazu auch erklärt: „Wenn ich ein wenig freie Zeit habe, lerne ich für meine Jägerprüfung oder stöbere gerne in Auto-Apps.“

Wenn er sich damit mal nicht politisch ins Knie schießt.

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