Bundestagswahl 2017 Für NRWs älteste und jüngste Bundestags-Kandidatinnen ist Sozialismus noch salonfähig

Die älteste und die jüngste NRW-Kandidatin für die Bundestagswahl kommen aus Dortmund — und stehen ganz weit links.

Bundestagswahl 2017: Für NRWs älteste und jüngste Bundestags-Kandidatinnen ist Sozialismus noch salonfähig
Foto: Ekkehard Rüger

Dortmund. Bisher sind sie sich noch nie begegnet. Dabei leben sie beide in Dortmund. Und engagieren sich politisch. Und kandidieren für den Bundestag. Und stehen ganz links. Ula Richter (78) und Celine Erlenhofer (19) sind in NRW die älteste und die jüngste Bundestagskandidatin. Die Malerin tritt für die DKP an, die Jurastudentin für die Linke. Und zumindest in dieser Hinsicht ist die Jüngere die Erfahrenere: Für Erlenhofer ist es nach der Landtagswahl im Mai schon die zweite Kandidatur.

Jetzt sitzen sich die beiden in der Lokalmanufaktur gegenüber, dem Restaurant im Dortmunder Rathaus. Und gewähren Einblicke in eine Gedankenwelt, in der der Sozialismus auch nach der Wende keine Horrorvorstellung ist, sondern immer noch politisch salonfähig.

Deutsche Kommunistische Partei — gibt es die überhaupt noch? In der Tat, auch wenn die 1968 zwölf Jahre nach dem Verbot der KPD gegründete DKP inzwischen auf bundesweit 3000 Mitglieder eingedampft ist. In NRW soll es laut Verfassungsschutz noch etwa 800 Mitglieder geben. Der Inlandsnachrichtendienst beobachtet die Organisation wegen ihres „orthodox-kommunistischen Linksextremismus“. Kein Wunder, dass Richter ihn am liebsten abschaffen würde — den Verfassungsschutz, nicht den Linksextremismus.

Die 78-Jährige (NRW-Listenplatz 3) ist in den 1960er Jahren politisiert worden, geprägt von Außerparlamentarischer Opposition, Studenten- und Kinderladenbewegung. „Bewegungen können das Klima im Land verändern“, ist sie überzeugt. Aber die Friedens- und soziale Bewegung in Deutschland seien derzeit leider schwach, klagt sie. Sicher, die Revolution sei anzustreben. „Aber sie entwickelt sich aus den historischen Bedingungen und den Massen. Und die Massen sehe ich im Augenblick nicht.“

Richter selbst, seit 1970 DKP-Mitglied, ist Sprecherin des Bündnisses Dortmund gegen Rechts. Es war vor 17 Jahren in der Revierstadt mit ihrer starken rechtsextremen Szene gegründet worden. Weil es keine konsequente Abgrenzung gegen die Antifa gab, sind SPD, CDU und Grüne, der DGB, die Kirchen und weitere Organisationen aber inzwischen längst in den Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus abgewandert. Ihre Sprecherfunktion im Bündnis hat Richter schon Bedrohungen und Wandschmierereien am eigenen Wohnhaus eingebracht. Eine Erfahrung, die sie mit ihrem jungen Gegenüber teilt: „Es gibt eine Internetseite der Rechten, da sind meine ganze Biografie und alle Telefonbucheinträge aufgelistet, verbunden mit der Aufforderung, dort mal einen Besuch abzustatten“, erzählt Celine Erlenhofer.

Ihr politisches Interesse wurde von ihrem Politiklehrer geweckt — und von einem Anderthalb-Stunden-Referat, das sie mal über das Parteienspektrum hielt. Als dann noch die Diskussion über das Freihandelsabkommen TTIP aufflammte, führte der Weg endgültig zur Linken.

Dort stürzt sich die junge Direktkandidatin im Wahlkreis Dortmund II ohne Listenplatz jetzt schon in den zweiten Wahlkampf in Folge, was man ihrer Argumentationsstärke und -freude anmerkt. „Ich mache das, wenn andere Musik machen oder in den Verein gehen. Mir bringt das auch persönlich sehr viel: Ich muss mich erklären, lerne, vor Menschen zu sprechen, und knüpfe viele Kontakte.“

Eines Tages kann sie sich vorstellen, auch einmal für einen Listenplatz anzutreten, um die Chancen auf einen Parlamentseinzug zu erhöhen. Aber derzeit hat sie noch genug damit zu tun, sich unfallfrei zwischen den Strömungen ihrer eigenen Partei zu bewegen: Forum Demokratischer Sozialismus, Antikapitalistische Linke, Kommunistische Plattform, Ökologische Plattform, Emanzipatorische Linke — die linke Neigung zum Sektierertum kann einem das politische Engagement schon mal verleiden. Erlenhofer mag sich da nicht festlegen lassen: „Ich will nicht auf die Schiene geraten, etwas nur abzulehnen, weil es von einer anderen Strömung kommt.“

Für den Bundestagswahlkampf hat sie mit der Bildung ihr Hauptthema gefunden. Die Stipendiatin der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fordert einen stärkeren Einfluss des Bundes. Ula Richter treiben dagegen vor allem die Frage von Krieg und Frieden sowie das starke Aufkommen der Rechten um.

Und wo soll es am Ende hingehen mit dem politischen System? Sie hoffe „dass der Kapitalismus verschwindet, bevor die ganze Welt in Asche liegt“, sagt Richter. „Ich bin Kommunistin und wünsche mir einen Sozialismus ohne Fehler. Aber das werde ich nicht mehr erleben.“ Erlenhofer formuliert ihre Hoffnungen weniger radikal: „Die Linke ist keine kommunistische Partei und ich bin keine Kommunistin. Wir müssen die Demokratie durch viel mehr direkte Beteiligung Stück für Stück demokratischer machen. Ich wünsche mir eine sozialistische Demokratie.“

Dann gehen sie wieder — die eine, die der DDR „trotz ihrer Fehler und ihres überzogenen Sicherheitsbedürfnisses“ bis heute nachtrauert, und die andere, die den „real existierenden Sozialismus“ aufgrund ihrer Jugend gar nicht mehr erlebt hat, aber die Diskussionen innerhalb ihrer Partei kennt. „Selbst alte Genossen, die erst sagen, dass es ihnen zu DDR-Zeiten besser ging, erzählen dann doch von negativen Gefühlen und traurigen Geschichten, wenn man nachhakt.“ Fast 60 Jahre trennen sie, manches ihrer Parteien verbindet sie — und auch der Einsatz in einem politischen System, das sie zumindest verändern, wenn nicht überwinden wollen. Vorerst wird ihr Wirkungsfeld aber dann doch Dortmund bleiben und nicht Berlin: Dem neuen Bundestag werden weder die älteste noch die jüngste NRW-Kandidatin angehören.

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