Bischöfe stoppen Studie zu sexuellem Missbrauch

Bonn/Trier/Hannover (dpa) - Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche ist vorerst gescheitert. Am Mittwoch kündigten die Bischöfe vorzeitig den Vertrag mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, dessen Leiter Christian Pfeiffer der Kirche Zensur vorwarf.

Der Streit hatte sich an der Veröffentlichung kircheninterner Dokumente entzündet. Das Team von Pfeiffer hatte 2011 den Auftrag übernommen.

Die Deutsche Bischofskonferenz will das Projekt, das unter anderem die Analyse von Akten aus Kirchenarchiven umfasste, aber fortführen und sich dafür einen anderen Partner suchen. Auch Pfeiffer will weitermachen - ohne Unterstützung des Klerus.

„Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Direktor des Instituts und den deutschen Bischöfen ist zerrüttet“, erklärte ihr Missbrauchsbeauftragter, Triers Bischof Stephan Ackermann. Vertrauen sei aber „für ein so umfangreiches und sensibles Projekt unverzichtbar“. Opfer-Vertreter und kritische Laien sprachen von einem verheerenden Signal. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte, die Aufarbeitung des jahrzehntelangen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der katholischen Kirche sei längst überfällig.

Der Streit zwischen Pfeiffer und den Bischöfen ging vor allem um die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen. Die Kirche habe die Veröffentlichung nach Widerstand aus einzelnen Diözesen nachträglich reglementieren wollen, obwohl alle Bistümer dem Projekt beim Start zugestimmt hätten, sagte Pfeiffer. Sein Institut sei nicht bereit gewesen, sich einer Zensur zu beugen. Kritiker in der Kirche hätten auf der Möglichkeit bestanden, Veröffentlichungen aus wichtigen Gründen zu verbieten und auf jeden Fall von einer schriftlichen Zustimmung abhängig zu machen, so Pfeiffer.

Der Kriminologe sagte weiter, er habe auch Hinweise erhalten, dass in mehreren Diözesen Missbrauchsakten vernichtet worden seien. Dies wurde von der Bischofskonferenz bestritten.

Die katholische Kirche hatte mit dem Forschungsprojekt auf den Missbrauchsskandal reagiert, der sie 2010 erschüttert hatte. Die sexuellen Übergriffe von Priestern und anderen Geistlichen vor allem in den Jahren 1950 bis 1980 sollten wissenschaftlich analysiert werden, um neuen Missbrauch zu verhindern und das Vertrauen zurückzugewinnen. Die Studie war bis 2014 angelegt und umfasste nicht zuletzt die Auswertung Hunderttausender Akten, darunter Personalakten.

Nicht jeder Bischof war von dem Vorhaben begeistert, dafür erstmalig die streng gehüteten Archive zu öffnen. Die kritische Organisation „Wir sind Kirche“ erklärte, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, aber auch die Bistümer Regensburg und Dresden hätten „den Ausstieg betrieben“.

Bischof Ackermann sagte, die Kündigung hänge „allein mit dem mangelnden Vertrauen in die Person von Professor Pfeiffer“ zusammen. „Das Kommunikationsverhalten von Professor Pfeiffer gegenüber den kirchlichen Verantwortungsträgern hat leider einer weiteren konstruktiven Zusammenarbeit jede Vertrauensgrundlage entzogen.“ Ackermann zeigte sich zuversichtlich, dass man „schon bald das Forschungsprojekt mit anderen Partnern in Angriff nehmen“ könne. Bereits in der nächsten Woche sollten dazu „die nötigen Gespräche“ geführt werden.

In den ARD-„Tagesthemen“ wies Ackermann den Zensurvorwurf zurück. „Wir haben kein Vetorecht eingefordert.“ Es sei nicht darum gegangen, „irgendwie die Ergebnisse der Wissenschaftler zu zensieren“.

Pfeiffer kündigte eine eigene Untersuchung an und rief Opfer von Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen auf, für eine anonyme Befragung mit dem Forschungsinstitut Kontakt aufzunehmen.

Leutheusser-Schnarrenberger forderte Aufklärung von den Kirche. „Der Vorwurf, Zensur und Kontrollwünsche behinderten eine unabhängige Aufarbeitung, sollte durch den Vorsitzenden der Bischofskonferenz schnell aus der Welt geschafft werden“, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“ (Donnerstag) an die Adresse von Erzbischof Robert Zollitsch gerichtet. „Es ist ein notwendiger und überfälliger Schritt, dass sich die katholische Kirche öffnet und erstmals kirchenfremden Fachleuten Zugang zu den Kirchenarchiven ermöglicht. Die dramatischen Erschütterungen des Jahres 2010 dürfen nicht in einer halbherzigen Aufarbeitung versickern.“

Opfervertreter forderten eine Aufklärung der Vorfälle durch den Bundestag. „Die katholische Kirche ist offensichtlich mit der Aufarbeitung überfordert“, erklärte der Opferzusammenschluss Eckiger Tisch. Ähnlich wie in den Niederlanden solle nun eine vom Parlament eingesetzte Kommission tätig werden.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, bedauerte das vorläufige Scheitern des Projekts. Das Anliegen sei damit aber nicht erledigt und müsse in einem neuen Projekt angegangen werden. Anerkannt werden müsse, dass die katholische Kirche seit dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals bereits enorme Anstrengungen zur Aufarbeitung unternommen habe.

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