Interview mit Klaus Töpfer Atomkatastrophe von Tschernobyl: "Wir standen unter Schockstarre"

Berlin. Auf den Tag genau vor 30 Jahren kam es zur Atomkatastrophe von Tschernobyl. Im Gespräch mit unserer Zeitung erinnert sich Klaus Töpfer an den Super-Gau. Ein Jahr danach wurde der CDU-Politiker Bundesumweltminister (1987 bis 1994). Töpfer gilt heute als einer der renommiertesten Umweltpolitiker Deutschlands.

Der ehemalige BundesumweltministerKlaus Töpfer (CDU).

Der ehemalige BundesumweltministerKlaus Töpfer (CDU).

Foto: Horst Ossinger

2011, nach Fukushima, leitete er die von der Bundesregierung eingesetzte Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung nach dem deutschen Atomausstieg.

Herr Töpfer, welche Erinnerung haben Sie an die Katastrophe von Tschernobyl?

Klaus Töpfer: Ich war unmittelbar eingebunden in die Informationsströme, denn damals war ich Umweltminister in Rheinland-Pfalz. Als die spärlichen Nachrichten über diese Katastrophe nach und nach durchsickerten, standen wir zunächst unter Schockstarre. Wir haben dann aber zügig über alle Parteigrenzen hinweg Vorsorge getroffen, dass die Menschen in unserem Land nicht negativ von der Katstrophe betroffen wurden.

Begann mit Tschernobyl das Umdenken in der Atompolitik?

Töpfer: Das Umdenken hatte schon vorher begonnen. Tschernobyl hat es aber deutlich vorangetrieben. Damals waren die Grünen bereits in Hessen in der Regierung, einer meiner intensiven Partner in diesem Zusammenhang war Joschka Fischer. Ich erinnere mich an ein Interview, das ich gegeben hatte, darüber stand schon die Überschrift: 'Töpfer - eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden`.

Für den Beginn des Ausstiegs war die Zeit aber noch nicht reif?

Töpfer: Nach meiner Überzeugung: Nein. Die Energietechnologien, die wir dafür gebraucht hätten, waren noch nicht verfügbar. Es wurde erst damit begonnen, Erneuerbare Energien zu erforschen und sie in ihren Kostenstrukturen zu senken. Und zwar nicht nur wegen der Notwendigkeit, aus der Kernenergie auszusteigen. Sondern auch, weil es eine Zunahme an CO2 gab, also wegen des Klimawandels. Dadurch wurde der Druck auf die wissenschaftliche Forschung und wirtschaftliche Entwicklung Erneuerbarer Energien deutlich verstärkt.

25 Jahre später hat die Katastrophe von Fukushima dann alles verändert.

Töpfer: Nicht nur verändert, sondern massiv verstärkt. Vergessen werden darf allerdings nicht, dass vorher schon einmal in Deutschland der Beschluss zum Ausstieg gefasst worden ist - 2001 durch die rot-grüne Bundesregierung. Aber es war eben ein Beschluss, der nur von einem Teil des Parlamentes unterstützt wurde. Erst nach Fukushima wurde der Ausstieg nahezu einstimmig im Bundestag beschlossen und damit die Umsetzung auf eine breite Basis der Gesellschaft gestellt.

Trotzdem setzen Japan, aber auch Länder wie Frankreich und Belgien weiter auf die Atomkraft. Hat das wirtschaftliche Gründe?

Töpfer: Wenn nur die wirtschaftlichen Interessen zählen würden, würde man nicht auf die Kernenergie setzen. Die Erneuerbaren Energien sind zwischenzeitlich nicht nur risiko- und CO2-arm, sondern auch ökonomisch sinnvoll. Wir haben im letzten Jahr wieder erlebt, dass es weltweit mehr Investitionen in Erneuerbare Energien gegeben hat als in die konventionellen.

Fehlt die Einsicht?

Töpfer: Sicherlich gibt es unterschiedliche Interessenlagen. Es ist immer die Frage, wie man den Umstieg gestalten kann. Dass das nicht einfach ist, erleben wir auch in Deutschland, wo die Umsetzung der Energiewende mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist. Bislang ist sie weitestgehend nur eine Energieerzeugungswende, die die Mobilität und die Wärme praktisch noch nicht einschließt.

Schauen Sie mit Sorge auf die offenbar störanfälligen Akw in Frankreich und Belgien?

Töpfer: Ich gehe davon aus, dass die Menschen, die dort Verantwortung für diese Technik übernehmen, sich dieser sehr großen Verantwortung auch im vollen Maße und ständig wohl bewusst sind. Das muss man immer wieder einfordern. Die Notwendigkeit eines Umstieges muss in den Ländern selbst gesehen werden. Ich glaube, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Erneuerbaren diese Einsicht deutlich beflügeln wird.

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