AOK: Ärzte arbeiten zu wenig für Geld der Versicherten

Joachimsthal (dpa) - An unnötig langen Wartezeiten von Kassenpatienten sind nach Darstellung des AOK-Bundesverbandes häufig die Ärzte schuld.

Sie arbeiteten zu wenig für das erhaltene Geld, sagte der designierte Verbandsvorsitzende Jürgen Graalmann am Freitag bei einem Presseseminar in Joachimsthal bei Berlin.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wies den Vorwurf des AOK-Bundesverbandes entschieden zurück. „Seit Jahren erbringen die rund 137 000 niedergelassenen Ärzte wesentlich mehr Leistungen, als sie bezahlt bekommen. Jetzt zu behaupten, die Ärzte arbeiteten zu wenig, ist eine Unverschämtheit“, konterte KBV-Chef Andreas Köhler.

Dagegen sagte Graalmann: „Aktuell bringen die Versicherten rund vier Milliarden Euro mehr für die ärztliche Versorgung auf, als sie real dafür bekommen.“ Vor allem Fachärzte hielten die zugesagte Arbeitszeit von 51 Wochenstunden für die Behandlung von Kassenpatienten nicht ein.

Der Kassen-Manager forderte die Kassenärztlichen Vereinigungen auf, den Missstand zu beenden und dafür zu sorgen, dass die Mediziner ihre für die Behandlung von Kassenpatienten zugesagten 51 Wochenstunden auch tatsächlich leisten. Viele der niedergelassenen Mediziner widmeten einen zu großen Teil ihrer Arbeitszeit Privatpatienten und sogenannten Wahl-Leistungen, die Kassenpatienten selber bezahlen.

Eine von der AOK in Auftrag gegebene Umfrage ergab, dass Hausärzte rund 47 Stunden in der Woche für ihre Patienten da sind, Fachärzte dagegen nur 39 Stunden. Dennoch bekämen die Mediziner ein Honorar, „das dem mit 51 Stunden kalkulierten Lohn entspricht“, kritisierte Graalmann. Er bezifferte die Minderleistung „auf glatte 23 Prozent“. Honorarkürzungen solle es aber nicht geben.

KBV-Chef Köhler warf Graalmann vor, er missachte den Einsatz und das Engagement der Vertragsärzte, die trotz Unterfinanzierung für ihre Patienten da seien - im Notfall auch am Wochenende und nachts. Vertragsärzte seien im Übrigen nur verpflichtet, mindestens 20 Sprechstunden in der Woche anzubieten. Diese vertragliche Regelung sei auch von den Krankenkassen unterschrieben worden. Köhler forderte Graalmann auf, seine Äußerungen umgehend richtig zu stellen und sich bei der Ärzteschaft zu entschuldigen.

Der künftige AOK-Verbandschef - er tritt sein neues Amt am 1. Oktober als Nachfolger von Herbert Reichelt an - nannte Wartezeiten von mehr als einer Woche für einen Arzttermin nicht akzeptabel - vor allem dann, wenn Privatpatienten vorgezogen würden. 2006 hätten 11 Prozent der gesetzlich Versicherten drei Wochen und mehr auf einen Arzttermin warten müssen, zuletzt seien es schon 20 Prozent gewesen. Dies komme auch daher, dass Ärzte ihre Praxen aus Budgetgründen zum Quartalsende zumachten und Behandlungen ins nächste Quartal verschöben. Jeder dritte befragte Arzt habe in den letzten zwölf Monaten das Schild „Geschlossen“ an die Praxistür gehängt, kritisierte Graalmann.

Das pauschale Argument ärztlicher Standesvertreter, Wartezeiten seien dem Ärztemangel geschuldet, ließ Graalmann nicht gelten. Obwohl immer mehr Geld ins System fließe, sei die medizinische Versorgung nicht besser geworden. Von 2007 bis 2010 hätten Deutschlands Ärzte rund 4,6 Milliarden Euro mehr bekommen, zugleich sei ihre Zahl um 4300 gestiegen. „Längere Wartezeiten ergeben sich aus Sprechzeitenverkürzung bei stetig steigender Vergütung“, keineswegs aber aus Personal- oder Geldmangel, zeigte sich Graalmann überzeugt.

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