Generaldebatte Angeschlagene Merkel gibt sich kämpferisch

Die Kanzlerin verteidigt im Bundestag ihre Flüchtlingspolitik - und warnt vor der AfD

Generaldebatte: Angeschlagene Merkel gibt sich kämpferisch
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Berlin. In diesen politisch so schwierigen Zeiten könnte der Tag für Angela Merkel auch anders beginnen, zumal mit ihr und ihrer Politik im Bundestag abgerechnet werden soll. Aber die Kanzlerin hat am frühen Morgen vor der Generaldebatte Grund zur Fröhlichkeit.

Zuerst erinnert Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) an den verstorbenen Bundespräsidenten Walter Scheel. Seine Reden, so Lammert, seien unter dem Titel "Heiterkeit und Härte" erschienen. Angela Merkel muss an dieser Stelle trotz des traurigen Anlasses grinsen. Heiterkeit und Härte, wunderbar, ein schönes Motto für die nächsten Wochen.

Dann sitzt oben auf der Tribüne des Reichstages noch der Turner Andreas Toba, der Held von Rio. Mit einem Kreuzbandriss machte er weiter und hielt so das deutsche Team im olympischen Wettbewerb. Ihm applaudiert das gesamte Hohe Haus, wieder lächelt Merkel, man kann ihre Gedanken förmlich lesen. Angeschlagen - und trotzdem nicht aufgegeben. Ein Vorbild, so nennt Lammert den Olympioniken.

Seit der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern, ihrem Heimatland, ist Merkel sozusagen der Andreas Toba der deutschen Politik. Auch sie ist politisch lädiert, geht an Krücken. Ihre Flüchtlingspolitik und vieles mehr haben die AfD in "MeckPomm" bereits stärker werden lassen als die CDU. Ein Desaster. Die Unruhe mit Blick auf die anstehende Berlin-Wahl und die Unzufriedenheit in der eigenen Partei sind groß; auch meutert die CSU aus München wieder lautstark.

Und der Koalitionspartner SPD mit Merkels Vizekanzler Sigmar Gabriel an der Spitze wird neuerdings nicht müde, die Regierungschefin persönlich zur Hauptschuldigen für alles und jedes zu machen. Jedenfalls außerhalb des Bundestages, jetzt scherzen beide auf der Regierungsbank munter miteinander. Für Merkel stellen sich schwierige Fragen: Den Kurs wechseln - oder nicht? Rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl abtreten, oder wie Turner Toba einfach weitermachen, obwohl die Schmerzen groß sind?

Zumindest die zweite Frage lässt die Kanzlerin weiter offen. Amtsmüde oder zermürbt wirkt Merkel aber keineswegs. Und die koalitionsinternen Qualen halten sich an diesem Tag in Grenzen. Die Partner schließen ein wenig die Reihen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann verzichtet auf Spitzen gegen Merkel, eher handzahm zieht er Bilanz einer erfolgreichen Regierungspolitik.

Seine Botschaft: Diese Koalition ist noch nicht am Ende. Merkel erhält sogar freundlichen Applaus von den Genossen, als sie zum Rednerpult geht. Roter Blazer, schwarze Hose, sie trägt die Farben der großen Koalition. Solche Zeichen setzt sie bewusst. Was folgt, ist keine Ruck-Rede, keine, die die AfD-Wähler in Scharen zurückholen würde. Merkel kann das nicht, Emotion und Empathie entsprechen nicht ihrem Naturell.

Mit einer einzigen Rede wäre es wohl auch nicht getan. Die Kanzlerin verteidigt ihre Flüchtlingspolitik und zählt die vielen Maßnahmen auf, die zur Bewältigung der Krise in nur einem Jahr beschlossen worden seien. Weitere würden folgen. Kein grundlegender Kurswechsel also in Sicht. Und keine Selbstkritik.

Dann kommt sie zur AfD. Diese Partei sei nicht nur eine Herausforderung für die Union, betont Merkel. "Jeder muss sich an die eigene Nase fassen." Alle sollten sich in ihrer Sprache mäßigen, ansonsten würden nur die gewinnen, "die es noch einfacher und klarer ausdrücken". Und: "Wählerbeschimpfungen bringen gar nichts." Es ist eine Art Appell an die Gemeinsamkeit der Demokraten.

Ähnliche Töne sind auch von anderen Rednern wie Unionsfraktionschef Volker Kauder zu hören. Ob das freilich ausreicht, um die AfD zu entzaubern? Die Grüne Katrin Göring-Eckardt wird da etwas konkreter: "Wer jeden Blödsinn der Populisten nachplappert, der muss sich nicht wundern, wenn sie dann gewählt werden", wendet sie sich an die Adresse von CSU-Chef Horst Seehofer.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch wirft Merkel vor, ihr sei "der politische Kompass abhandengekommen". Ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl sei das Regierungsbündnis "de facto am Ende". Es müsse deshalb eine "soziale Investitionsoffensive" für abgehängte Regionen her, damit " endlich mal wieder Busse über die Dörfer fahren". Merkel schmunzelt wieder. Außerdem werde Deutschland nicht von "Zuversicht", sondern von "Angst" regiert, schimpft Bartsch. Ängstlich wirkt die Kanzlerin an diesem Tag freilich nicht. Sie wirkt eher wie Andreas Toba.

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