#boatengsnachbar Analyse: Das Stöckchen-Spiel der AfD

Potsdam. Die Boateng-Äußerung ihres Vize-Vorsitzenden Alexander Gauland kann die AfD für sich als vollen Erfolg verbuchen: Aufmacher-Nachricht in der 20.15-Uhr-Ausgabe der Tagesschau vom Sonntag, hunderte Kommentare in den Tageszeitungen vom Montag, und dann die Krönung jeden Marketing-Bemühens: Regierungssprecher Steffen Seibert richtete namens der Kanzlerin aus, Angela Merkel bewerte Gaulands Äußerung als niederträchtig und traurig — mehr Aufmerksamkeit kann eine Partei, die bundesweit nicht einmal 24 000 Mitglieder hat, kaum erreichen.

Das Pseudo-Dementi Frauke Petrys zur Gauland-Äußerung hat bei Twitter keine hohe Glaubwürdigkeit. Das ist jedoch keine Ungeschicklichkeit, sondern die Diffamierung der Absicht. Screenshot: Tobias Kestin

Das Pseudo-Dementi Frauke Petrys zur Gauland-Äußerung hat bei Twitter keine hohe Glaubwürdigkeit. Das ist jedoch keine Ungeschicklichkeit, sondern die Diffamierung der Absicht. Screenshot: Tobias Kestin

Der AfD gelingt das deshalb so gut, weil sie das Spiel verstanden hat: Sie hält der Öffentlichkeit ein Stöckchen hin, und diese springt verlässlich drüber — und hält damit die Aufmerksamkeit für die AfD hoch. Und so geht das Stöckchen-Spiel der AfD.

1.) Das Stöckchen hinhalten

Die demokratischen Parteien wie auch die meisten Medien haben sich vorgenommen, die AfD inhaltlich zu stellen. Das bedeutet für die AfD: Sie muss für plumpe Nazi-Parolen eine Formulierung finden, von der die übrigen Parteien und eine ausreichend hohe Zahl an Medien glauben, diese Formulierung entlarve den rassistischen und nationalistischen Kern der AfD. Beispiel: Einen Satz raushauen, wie „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben.“

2.) Den Sprung abwarten

Wenn die übrigen Parteien und eine ausreichend hohe Zahl an Medien diesen Satz für entlarvend genug halten, werden sie ihn in der irrigen Annahme verbreiten, die AfD wieder einmal inhaltlich gestellt zu haben. Tatsächlich haben sie zunächst nichts weiter getan, als der AfD bei der Verbreitung einer rassistischen Parole zu helfen, die in ihrer plumpen Tarnung von der potenziellen Anhängerschaft genau so verstanden wird, wie sie gemeint war, ohne direkt geäußert worden zu sein.

3.) Die Aufmerksamkeitsspanne verlängern

Das geht nur mit einem Dementi: Das habe ich so nicht gesagt, ich bin falsch zitiert worden, das ist aus dem Zusammenhang gerissen — irgendwas dieser Bauart. Der Zweck: Das ist das zweite Stöckchen, und wenn es gut für die AfD läuft, werden die übrigen Parteien und eine ausreichend hohe Zahl an Medien erneut springen, indem sie den Dementi-Gegenbeweis antreten: „Doch, Herr Gauland, das haben Sie so gesagt und auch gemeint!“ Das ist gut für die AfD, weil nun die potenzielle Anhängerschaft erst recht weiß, dass sie es richtig verstanden hat.

4.) Das dritte Stöckchen hinhalten

Wenn es für die AfD mangels konkurrierender Nachrichten-Themen oder aufgrund der Höhe des Empörungspegels perfekt läuft, kann sie eine dritte Aufmerksamkeits-Runde für sich verbuchen, indem sie eine oder einen weiteren Promi-AfDler (allerdings möglichst mit bereits beschädigter Dementi-Glaubwürdigkeit) die ganze Sache noch einmal wiederholen lässt.

5.) Und immer so weiter

Das nächste Stöckchen hinhalten, zum Beispiels Mesut Özils Pilgerreise nach Mekka oder Podolskis (spielt für Türken!) Singverweigerung der Nationalhymne.

6.) Die Ernte einsammeln

Fahren die übrigen Parteien und eine ausreichend hohe Zahl an Medien in der Annahme fort, sie stellten die AfD inhaltlich, über jedes Empörungs-Stöckchen zu springen, so ist die Zweistelligkeit des AfD-Ergebnisses bei der Bundestagswahl 2017 bereits heute so gut wie sicher. Würde die AfD dagegen auf ihre natürliche Größe reduziert, hätte sie es erheblich schwerer. Noch schwerer hätte sie es, wenn die übrigen Parteien und eine ausreichend hohe Zahl an Medien sich statt auf die AfD auf die Anliegen der Menschen und die echten Probleme des Landes konzentrieren würden. Am Schlimmsten für die AfD wäre, die übrigen würden sie nach dem Vorbild der katholischen Kirche mit Nichtachtung strafen und die Auseinandersetzung anderen Irrelevanten überlassen, wie zum Beispiel „Die Linke“, die sich ja gerade darum beworben hat.

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