Hotel Mama - Warum Nesthocker im Elternhaus bleiben

Drei von fünf jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren zögern den Auszug von zu Haus heraus.

Düsseldorf. „Hänschen Klein, ging allein, in die weite Welt hinein . . .“ Anders als der tatendurstige Bursche mit Stock und Hut in dem Kinderlied, in dem es bekanntlich um die Ablösung vom Elternhaus geht, bleibt Hänschen heute oftmals eben da. So lange, bis aus ihm längst ein Hans geworden ist. Dennoch wollte Hans-Josef Fischer, Präsident des statistischen Landesamts IT.NRW, das Thema keineswegs dramatisieren, als er die Studie „Hotel Mama — erwachsene Kinder im elterlichen Haushalt“ — vorstellte.

Dass drei von fünf jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren noch bei den Eltern leben, entspreche zum einen in etwa dem Bundesdurchschnitt. Zum anderen liege der Wert doch deutlich unter immer wieder kursierenden Zahlen aus anderen Ländern, insbesondere Italien, wo angeblich 70 Prozent der unverheirateten Männer noch im „Hotel Mama“ lebten. Überhaupt suggeriere der Ausdruck „Hotel Mama“, wenn er auch auf die Verhältnisse hierzulande übertragen wird, dass die jungen Erwachsenen es nur auf eines anlegten: eine Rundumversorgung zu genießen. Dabei seien es oftmals schlicht materielle Gründe, die erwachsene Kinder noch im Elternhaus halten. Dass nämlich in der Ausbildung und im Studium befindliche junge Menschen es sich schlicht nicht leisten können, einen eigenen Haushalt zu finanzieren.

Ohne das mit Zahlen unterlegen zu können, spekulierte der Herr der Zahlen aber auch darüber, dass es in den Familien nicht mehr wie einst Generationenkonflikte gibt, so dass es der alten und der jungen Generation in diesen Zeiten auch leichterfalle, weiter unter einem Dach zu leben.

Psychologen und die Betroffenen selbst kennen aber auch die Motivlage, die gewissermaßen vom anderen Ende her ins Spiel kommt — von den Eltern. Was in dem Kinderlied noch mit „Doch die Mutter weinet sehr, hat ja nun kein Hänschen mehr“ umschrieben wurde, heißt auf Neudeutsch „Empty-Nest-Syndrom“. Die Furcht, verlassen im eigenen Haus zurückzubleiben. Die Angst vor der Leere im Leben, die sich da auftun könnte.

Das Nicht-Loslassen-Können mag auch noch dadurch verstärkt werden, dass die heutige Elterngeneration weniger Kinder hat als frühere und dafür umso mehr Aufmerksamkeit (und finanzielle Mittel) in den Nachwuchs investiert. Ob sie diesem damit einen Gefallen tut, steht auf einem anderen Blatt. Selbstständigkeit und Flexibilität, in der Gesellschaft gefragte Eigenschaften, werden bei Nesthockern kaum eingeübt.

Die nun für NRW erhobenen Zahlen basieren auf dem Mikrozensus 2015, der repräsentativen Haushaltsbefragung des Statistikamts. Hier die wesentlichen Ergebnisse:

59 Prozent, und damit 937 000 der 1,6 Millionen jungen Erwachsenen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren, lebten im Jahr 2015 noch im elterlichen Haushalt. Die Zahl ist leicht gesunken. Im Jahr 2005 waren es 61,2 Prozent.

Es gibt deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede: 64,9 Prozent der jungen Männer zwischen 18 und 25, aber nur 52,7 Prozent der jungen Frauen leben noch im elterlichen Haushalt. Je älter die jungen Erwachsenen werden, umso weiter geht die Schere auseinander. Während es bei den 18-Jährigen noch so ist, dass 93,1 Prozent der Frauen und 94 Prozent der Männer im elterlichen Haus leben, zieht es die Frauen dann doch eher fort: Mit 25 Jahren lebt nur noch ein Fünftel der Frauen daheim, aber immer noch ein Drittel der Männer. Die Statistiker interpretieren das aber nicht so, dass Männer eine stärkere Elternbindung haben. Frauen seien in Paarbeziehungen durchschnittlich jünger als Männer. Und da eine feste Paarbeziehung häufiges Motiv für den Auszug sei, erfolge dieser dann auch früher.

Die Statistiker stellen auch regional betrachtet Unterschiede fest: In den Landkreisen leben etwa drei Viertel der 18- bis 25-Jährigen noch bei den Eltern, in den Städten dagegen liegt der Anteil deutlich darunter. In Aachen oder Münster sind es beispielsweise nur 28 bzw. 27 Prozent. Grund dürfte sein, dass junge Erwachsene oft wegen Studium, Ausbildung oder Erwerbstätigkeit in die Städte ziehen, wo sie dann auch einen eigenen Haushalt gründen müssen.

Betrachtet man die Einkommenssituation, so ergibt der Mikrozensus, dass 40,5 Prozent der jungen Erwachsenen, die 2015 im elterlichen Haushalt lebten, ein persönliches Nettoeinkommen von unter 700 Euro monatlich hatten. Bei steigenden Einkommen dreht sich das Blatt: Von denjenigen, die mehr als 1500 Euro verdienten, wohnten nur noch 22,8 Prozent bei den Eltern.

Für Chefstatistiker Fischer ein Anzeichen dafür, dass die Behauptung, die jungen Leute wollten nur ihr Leben in der Komfortzone verlängern, ein nicht haltbares Vorurteil sei. Mit anderen Worten: Hans würde vielleicht gern in die weite Welt ziehen, ihm fehlen aber die dafür nötigen Taler.

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