UNHCR-Bericht Demokratische Republik Kongo: Die Heimat der Heimatlosen

Die Demokratische Republik Kongo, eines der ärmsten Länder der Welt, ist zugleich Fluchtziel und Fluchtursache.

UNHCR-Bericht: Demokratische Republik Kongo: Die Heimat der Heimatlosen
Foto: UNHCR/Andreas Kirchhof

Düsseldorf. Wer den neuen Bericht „Global Trends“ des Flüchtlingshilfswerks UNHCR studiert, stößt auf zwei ungleiche Nachbarn: In der Tabelle der Länder mit den meisten aufgenommenen Flüchtlingen weltweit im vergangenen Jahr findet sich Deutschland als erstes EU-Land mit 670 000 Menschen auf Platz acht. Danach folgt die Demokratische Republik Kongo: Sie beherbergt aktuell 472 000 Flüchtlinge.

Beide Staaten haben mit gut 80 Millionen Menschen etwa gleich viele Einwohner. Nur zählt Deutschland zu den reichsten, der Kongo zu den ärmsten Ländern der Welt. Und während in Deutschland Friede herrscht, sind im mehr als sechsmal größeren Kongo, dem zweitgrößten Staat Afrikas, zusätzlich 3,7 Millionen Binnenflüchtlinge unterwegs.

Es gibt viele unbeachtete Flüchtlingskrisen auf der Welt. Eine trägt den Namen Kasai. Die kongolesische Region östlich der Hauptstadt Kinshasa grenzt an den Norden Angolas „und galt jahrzehntelang als ruhig und stabil“, sagt Andreas Kirchhof. Der 44-Jährige arbeitet seit Ende 2015 für das UNHCR-Regionalbüro in Kinshasa. Seit dem vergangenen Jahr beobachtet er extreme Gewaltausbrüche in der einst friedlichen Region.

„Es fing mit einem Aufstand einer lokalen Gruppe aus politischen Gründen an“, erzählt Kirchhof. Dahinter steckt die Weigerung der Regierung, einen traditionell ernannten Stammesführer anzuerkennen. Die Stammesführer übernehmen Regelungsfunktionen in den Dörfern und werden vom Staat bezahlt. Der Verschmähte aktivierte seine Gefolgsleute, die Sicherheitskräfte reagierten mit Härte. Im August 2016 wurde der Aufrührer getötet — und der Konflikt eskalierte endgültig.

„In einigen Gebieten nimmt er inzwischen auch einen ethnischen Charakter an, was uns sehr große Sorgen macht, weil das den Konflikt weiter vertiefen wird“, ist Kirchhof überzeugt. „In diesem Gebiet gibt es keine Hoffnung auf eine sehr schnelle Beilegung“ — zumal die UN-Blauhelmtruppen im Land nicht in der Lage sind, an allen regionalen Konfliktherden in der Demokratischen Republik Kongo präsent zu sein.

Inzwischen belaufen sich die Schätzungen der Binnenflüchtlinge allein in der Region Kasai auf 1,3 Millionen Menschen. Sie bewegen sich zwischen den Fronten von Militär und Milizen, sind teilweise völlig überrascht worden von der Eskalation der Gewalt und Hals über Kopf ohne das Nötigste geflohen. Viele sind in den umkämpften Gebieten kaum zu erreichen und ein Großteil von ihnen ist überhaupt noch nicht in der am Montag veröffentlichten Fluchtstatistik berücksichtigt. Mittlerweile 30 000 Menschen haben auch schon die Grenze nach Angola überschritten.

Eine geradezu aberwitzige Situation: Ein extrem armes und nicht durchgängig staatlich kontrolliertes Land, das selbst in regionalen Konflikten Fluchtbewegungen erzeugt, ist gleichzeitig Ziel von Flüchtlingen aus den Krisenregionen der Nachbarn. Im Norden des Kongo liegt die Zentralafrikanische Republik, im Nordosten grenzt das Land an den Südsudan an, vom UNHCR aktuell als der Staat mit der weltweit größten Flüchtlingsdynamik eingestuft. Knapp 70 000 Südsudanesen sind inzwischen über die Grenze geflohen. „Dort bräuchte man eigentlich eine viel höhere Militärpräsenz, um die Zonen, in denen die Flüchtlinge ankommen, zu sichern“, sagt Kirchhof. Stattdessen bedeutet die Flucht für sie oft nur den Wechsel von einem Gewaltübel zum anderen.

Erklärbar wird das dadurch, dass in dem zentralafrikanischen Flächenstaat viele Mikrosituationen vorherrschen mit lokal gravierenden Unterschieden und wechselnden Machtverhältnissen. Dazu ist beispielsweise die Grenzregion zum Südsudan extrem abgelegen. „Als die ersten Flüchtlinge dort vor anderthalb Jahren ankamen, hat ein Team von uns fünf Tage auf fast unbefahrbaren Straßen versucht, in diese Gegend zu kommen. Häufig klappt das nur noch mit dem Flugzeug“, schildert Kirchhof die geografischen Schwierigkeiten. Entsprechend problematisch ist auch die Versorgung der Flüchtlinge. Dabei zeigt die selbst schon extrem arme lokale Bevölkerung große Solidarität und nimmt oft Hilfesuchende in den eigenen Unterkünften auf.

Aber täglich kommen Hunderte hinzu. „Es ist schwer mit anzusehen, dass Kinder ohne ihre Eltern oder alte Leute dort ankommen, die eine Woche durch den Wald geflohen sind und sich nur von Blättern ernährt haben.“ Nicht nur logistisch ist die Hilfe eine Herausforderung. Das durch freiwillige Regierungsbeiträge und private Spenden finanzierte UNHCR-Budget reichte 2016 im Kongo nur aus, um ein Drittel der geplanten Maßnahmen zu finanzieren. „Es gibt deutliche Probleme bei der Finanzierung“, räumt Kirchhof ein. „Aber man darf nicht in Resignation versinken, sondern muss sich auf das Positive konzentrieren.“ Wie den Frieden in Angola. Die angolanischen Flüchtlinge sind inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt oder im Kongo integriert.

Jetzt fliehen die Kongolesen nach Angola.

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