Gerhart Baum: „Bei mir überwog der Trotz“

Am Sonntag wird der frühere Bundesinnenminister 80. Der Jurist und FDP-Politiker streitet für die Bürgerrechte.

Köln/Düsseldorf. „Es wurde gerauft“, erinnert sich Gerhart Baum und meint damit nicht mal die FDP, sondern die „rauen Sitten“ an einem oberbayrischen Gymnasium nach dem Krieg. Gerauft hat Baum dann doch ganz gerne, eigentlich sein Leben lang, für Bürger- und Menschenrechte vor allem für den Schutz des Individuums vor einem zudringlichen Staat.

Der gebürtige Dresdner studierte Jura, trat 1954 in die FDP ein, war Staatssekretär, dann Bundesinnenminister, ein Sozialliberaler durch und durch, der 1982 nach dem Koalitionswechsel seiner Partei in die Kohl-Regierung dennoch nicht — wie so viele — aus der FDP austrat. Er habe sich etwas vorgemacht, sagt Baum in dem Film-Porträt, das ihm der Westdeutsche Rundfunk (WDR) Freitag Abend anlässlich seines Geburtstages widmet. „Ich habe mir die FDP-Welt zeitweise schön geredet.“ Am Sonntag wird Baum, der seit 1950 in Köln lebt und eine Rechtsanwaltskanzlei in Düsseldorf hat, 80 Jahre alt.

WDR-Autorin Bettina Erhardt erzählt die Lebensgeschichte, ausgehend von der Dresdner Bombennacht, der Flucht der Familie an den Tegernsee und dem Verlust des in russischer Kriegsgefangenschaft verstorbenen Vaters.

Gerhart Baum wurde wie viele in dieser Generation früh in die Verantwortung genommen, als Ersatz-Vater seiner beiden jüngeren Geschwister, ein junger Mann, groß geworden mit der „Nie wieder“-Nachkriegshaltung und dem Drang, sich politisch zu engagieren. Private Fotos, Archivbilder, mehrere Gespräche mit Baum, dazu Interviews mit seiner Ehefrau Renate, der ältesten Tochter Julia sowie Hans-Dietrich Genscher und Günther Verheugen runden den Fernsehbeitrag ab.

Die Lebensgeschichte Baums spiegelt wichtige Themen der bundesdeutschen Politik wider: den Kampf gegen die alten Nazis, den Streit um die Ostpolitik, die Studentenbewegung und die Maßnahmen des Staates gegen den RAF-Terrorismus. Im Wahlkampf 1980 nannte ihn Unions-Kanzlerkandidat Franz-Josef Strauß (CSU) einen „Bundesunsicherheitsminister“ und ein „Idol der Linken“. Spannend die Szene vom turbulenten FDP-Parteitag im November 1982 in Berlin, als Baum die Wahl zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden trotz eines dürftigen Ergebnisses annahm. „Bei mir überwog der Trotz“, sagt er heute.

Heute zählt Baum zu den Polit-Weisen, die gerne in Talkshows eingeladen werden. Ein liberaler Monolith, der sich längst auf eigenen Bahnen bewegt. In den vergangenen Jahren haben er und der frühere NRW-Innenminister Burkhard Hirsch (FDP) vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreiche Beschwerden geführt: gegen den Großen Lauschangriff, gegen die Online-Durchsuchung und die Ermächtigung, bei Terrorgefahr Verkehrsflugzeuge abschießen zu dürfen. Ein beharrlicher Streiter für die Sache der Freiheit, aktiv bis ins hohe Alter. Ein liberales Feigenblatt für die FDP? Vielleicht, aber ein immer noch vorlautes. „Da ist etwas passiert, was die FDP hässlich gemacht hat“, sagt Baum und meint den Wandel zu einer vorwiegend leistungsorientierten, wirtschaftsliberalen Partei. „Wir haben Werte, die wir verwirklichen wollen, — und nicht nur eine Steuererklärung.“

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