EU-Beitritt: Euro oder Makrele – die Isländer müssen sich bald entscheiden

Der Inselstaat will die Gemeinschaftswährung. Der Nachteil wäre allerdings: Andere Länder würden am Fischfang beteiligt.

Reykjavik. Die Makrelen sind gewandert. Seit fünf, sechs Jahren kommen sie auf der Suche nach kühlerem Wasser weiter nach Norden, die Gewässer vor Island sind voll. Die Netze der Fischer auch, sie fangen ein Vielfaches der alten Mengen. Das empört die Briten: "falsch, unverantwortlich, verrückt”, donnert Fischereiminister Richard Benyon und droht unverhohlen mit Schwierigkeiten bei der Aufnahme Islands in die EU.

Die Isländer halten dagegen: Wenn mehr kommt, müssen wir auch mehr fangen, schon weil die Makrelen andere Arten verdrängen. Von der EU mit ihrer dubiosen Fischerei-Politik wollen sie nichts wissen.

Im Juli 2009 hat die rot-grüne Regierung in Reykjavik in Brüssel den Aufnahmeantrag eingereicht. Jetzt wird erstmal verhandelt, dann stimmt das isländische Volk über das Ergebnis ab. Vor 2013/14 wird es nichts mit dem Beitritt. Island, vermutlich mit dem EU-Mitgliedsausweis Nummer 29, wäre der Kleinste im Club. 320000 Einwohner, noch weniger als Malta und Luxemburg.

Es wäre zugleich das westlichste und nördlichste Land der Union, das Eckfähnchen des Kontinents. Aber letzthin ist so viel passiert, dass viele auf der Insel das Gefühl haben: Hier haben nicht nur die Vulkane Weltniveau. Auch politisch-wirtschaftlich kracht es in historischer Dimension.

Die Hitliste der zehn größten Pleiten aller Zeiten verzeichnet (auf den Plätzen sechs, neun, zehn) drei isländische Firmen. Kaupthing, Landsbanki, Glitnir - das war vor kurzem noch ein goldenes Dreieck, mit einem Buchwert zehnmal so groß wie das Bruttoinlandsprodukt.

Im Oktober 2008 platzte die Blase. Island stürzte in eine Krise, die selbst die hartgesottenen Feuerwehrleute des Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht alle Tage zu sehen bekommen. "Im Ausmaß ungewöhnlich” meint IWF-Mann Franek Rozwadowski, der in Reykjavik hilft, mit einem knüppelharten Sanierungsprogramm die isländische Wirtschaft wieder international kreditfähig zu machen.

Parallel läuft die Suche nach den Schuldigen: Die Banker haben ihre abenteuerlichen Geschäfte nicht allein getätigt. 75 Verdachtsfälle sind bislang auf dem Tisch des Sonderermittlers Olafur Hauksson gelandet.

Die Isländer werden die schlimmsten Folgen des Zusammenbruchs noch zu spüren bekommen. Die Wirtschaft schrumpft 2009/10 um rund ein Zehntel. Schon jetzt gibt es Sozialfälle unbekannter Art: Einst wohlhabende Paare, der Mann arbeitslos geworden, das Haus weniger wert als der Restkredit, die beiden dicken Autos unverkäuflich. "Leute, die für Sozialhilfe nicht in Frage kommen, und trotzdem nicht wissen, woher sie das Geld für das Schulessen der Kinder nehmen sollen”, sagt Wirtschaftsminister Arni Pall Arnason.

Arnason ist Sozialdemokrat und überzeugt, dass Islands Zukunft in der EU liegt. Vor allem weil seine Mini-Währung nicht überlebensfähig sei. Das Attraktivste am EU-Beitritt sei der Euro. Das Unattraktivste dürfte die Aufgabe der Souveränität in der Fischerei sein, zugunsten eines reglementierten EU-Systems, das die Bestände plündert. Am Ende werden die Isländer abwägen müssen: Euro oder Makrele.

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