Flüchtlingsfrage Gespaltene Nation: Eigentlich mögen wir uns doch!?

Die Atmosphäre in dieser Republik hat sich in der Flüchtlingsfrage enorm verschärft. Die Fronten brechen überall auf. Auch unter Freunden — und in Familien.

Flüchtlingsfrage: Gespaltene Nation: Eigentlich mögen wir uns doch!?
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Düsseldorf. Kürzlich schrie ein alter Bekannter im sozialen Netzwerk „Facebook“ um Hilfe. Eigentlich schrieb er um Hilfe, aber es klang dann doch laut und verzweifelt, weil nun bald in seinem 2000-Einwohner-Dorf am Rand einer deutschen Großstadt ein Flüchtlingsheim für 300 Menschen entstehen soll. Nahe der Haustür des jungen Mannes, nicht weit ab des Neubaugebietes, wo sich Familien fein eingerichtet haben. Und wo die Kinder auf der Straße spielen, was dann ja nun zum Problem werden würde.

Ob es denn noch ginge, fragte der alte Bekannte rhetorisch die Kommunalpolitiker in seinem Post und war ganz offensichtlich der Meinung: Nein, das geht nicht. „Wollt ihr ein ganzes Viertel in Angst und Schrecken versetzen?“ Darunter ergab sich eine Diskussion von Freunden und Bekannten. Einige Zustimmung, offenbar von Nachbarn, viel Entsetzen bei Freunden. Nicht wiederzuerkennen sei der Verfasser, schrieb einer. Ein anderer meinte: „Angst und Schrecken, was sind denn das für Parolen?“ Und ein Dritter stellte so nüchtern er konnte fest: „Weltoffenheit endet offenbar am Gartenzaun. Schade.“

Es ist nur ein Beispiel von vielen, aber der Eindruck steht: Deutschland lernt sich gerade neu kennen. Arbeitskollegen, Nachbarn, Freunde, auch Familienmitglieder. Unter dem Eindruck von Flüchtlingsfrage, der Beschallung aus Talkshow-Dauerschleifen und einer neu entstandenen privaten Debatten(-Un)kultur ist scheinbar kaum einer mehr ohne Expertise — und damit meinungslos. Das war lange ganz gut möglich, weil man sich in seiner Komfortzone mit Vollkaskomentalität ohne Druck von außen wähnte. Vorbei. Irgendwo zwischen „Refugees welcome“ und rechtem Hass bei angezündeten Asylheimen scheint auch die Welt von Max Mustermann zu zerbrechen. Die Gretchenfrage, die die Nation spaltet: Sag, wie hältst du es mit der Flüchtlingsfrage?

Klar Position einzunehmen, fördert den Konflikt: Wer sich kritisch gegenüber Flüchtlingen äußert, steht schnell in der rechten Ecke und sieht sich von der sogenannten Nazi-Keule erschlagen. Wer zu nett ist und sich trotz der Geschehnissen in der Kölner Silvesternacht noch für grenzenlose Zuwanderung einsetzt, gilt als weltfremd und in romantischer Form links. Die einen werden beschimpft, die anderen belächelt. Und zuletzt behält jener die Oberhand, der mit Zahlen und seinen Fakten hantieren kann, während der andere mit Gefühlen kommt, aber nichts Greifbares in der Hand hat. Kennen Sie das?

Dieser Konflikt kennt Schwarz und Weiß. Gute Voraussetzungen für torpedierte Geburtstage im privaten Kreis oder die Wandlung von Freunden zu entfernten Bekannten. „Die Untergangsapologeten haben verdrängt, dass der Zuzug von Flüchtlingen große Chancen birgt“, sagte der Psychologe Stephan Grünewald, Autor des Buches „Deutschland auf der Couch“, der „FAZ“. „Die Willkommensromantiker wollen nicht über mögliche Probleme sprechen, die entstehen können.“ Erst im Angesicht einer auch von der politischen Klasse beförderten andauernden Zuspitzung bei steigendem Druck (=Zuzug?) mehren sich nun die Stimmen derer, die Sachlichkeit für lösungsfördernd halten. Grünewald findet, beide Seiten hätten verdrängt, jetzt aber gäben sie ein Stück von ihren Positionen ab. „Es entsteht ein gemeinsames Blick- und Aufgabenfeld: Beide müssen einen Konsens für Felder wie Geld, Sicherheit, Wohnraum und Bildung finden.“ Es gilt: Je schneller Lösungen gefunden werden, desto schneller geht die zermürbende Phase des Ideologien-Crashs zu Ende. Umgekehrt gilt das auch. Und dann wird die Frage unter Freunden im Raum stehen, wie es so weit kommen konnte: „Eigentlich mögen wir uns doch!?“

Dass Abgrenzung eine Rolle spielt, ist für den Psychologen normal. „Wir brauchen das Gefühl, einen Raum zu haben, der für uns reserviert ist“, so Grünewald. Und: „Wenn die Ordnung und die innere Stärke nicht mehr gegeben ist, wächst die Sehnsucht nach einer äußeren Begrenzung.“ Dabei spiele auch Kanzlerin Merkel (CDU) eine Rolle: Jene, die sich früher in der sicheren Haut von Merkel geschützt fühlten, seien nun in Sorge, was mit ihrem Leben passiere. Merkel habe ihr „Wir schaffen das“ nicht mit Leben gefüllt. Die „Abgrenzer“ erkennen ihr Paradies als eines der letzten und wollen es verteidigen.

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