Totensonntag Die Liebe eines Ehepaares: Was aber Gott verbunden hat. . .

Zum Totensonntag: Auf dem Alten Kirchhof in Roermond erzählt das „Grab mit den Händen“ von der Liebe eines Ehepaares, die kein Gesetz, kein Vorurteil, keine Konfession, keine Mauer und am Ende nicht einmal der Tod zu trennen vermochte.

Totensonntag: Die Liebe eines Ehepaares: Was aber Gott verbunden hat. . .
Foto: tüc

Roermond. Wer wegen des Designer-Outlets nach Roermond fährt, wird den „Oude Kerkhof“ kaum finden. Er befindet sich auf der Südseite der Stadt, rund zwei Kilometer vom Zentrum entfernt. 1785 angelegt, zählt er zu den ältesten städtischen Friedhöfen der Niederlande und ist ein steinernes Abbild der bewegten Geschichte Roermonds. Schon sein offizieller Name „Friedhof in der Nähe der Kapelle in ‘t Zand“ ist eine fromme Fälschung, denn er schließt sich an einen weitaus älteren jüdischen Begräbnisplatz an.

Diesen Ort wählte die Stadt, die damals zu Österreich gehörte, nicht freiwillig. 1784 hatte Kaiser Joseph II. Bestattungen in Kirchen, geschlossenen Gebäuden und innerhalb der Stadtmauern im ganzen Habsburger Reich verboten. So wurde der neue städtische Friedhof vor der Stadt angelegt, wohin zuvor die jüdischen Gräber verbannt worden waren.

Zwei Jahrhunderte lang bestimmten ständig wechselnde Herrscher — und Religionen — das Schicksal der Stadt. Erst war sie spanisch, dann kamen die Österreicher, schließlich (bis 1814) die Franzosen. Von 1815 an war sie 15 Jahre lang sogar niederländisch, doch fiel sie anschließend für mehrere Jahre an Belgien, um danach bis 1866 mit dem Osten Limburgs gleichzeitig Teil der Niederlande wie auch des Deutschen Bundes zu sein.

Als der Alte Kirchhof angelegt wurde, wurden jüdische und christliche Gräber durch Mauern getrennt, aber nicht nur sie. Mauern trennen auch katholische von protestantischen Gräbern. Ein weiteres ummauertes Begräbnisfeld birgt die letzten Ruhestätten derer, die entweder keiner Konfession angehörten oder denen ein christliches Begräbnis verweigert wurde. Auf dem größten Teil, dem katholischen, sind die Gräberreihen sogar nach Klassen unterteilt: Es gibt Monumente für die Ewigkeit, so in der Mitte eine Krypta für die Bischöfe von Roermond, es gibt prächtige Adelsgräber, weniger prächtige für normale Bürger und gänzlich trostlose für die Armen.

Aus diesem Labyrinth von Mauern und teils sehr speziellen Grabmalen sticht eine Ruhestätte hervor: das doppelte „Grab mit den Händen“ der Eheleute Jacob van Gorkum und Josephina van Aefferden, das genau genommen aus zwei Gräbern besteht. Das Grab Jacob van Gorkums befindet sich auf der protestantischen Seite des Friedhofs, das Grab Josephina van Aefferdens auf der katholischen. Über die Mauer hinweg, die die Konfessionen voneinander trennen soll, sind ihre Gräber mit zwei Händen verbunden — im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Skandal erster Ordnung.

In den Augen der Roermonder war dieses skandalöse Grab die skandalöse Krönung eines skandalösen Lebens, das gegen alle Konventionen der Zeit verstieß. Josephina war als Freifrau Josephina Carolina Petronella Hubertine van Aefferden geboren und gehörte dem deutsch-stämmigen katholischen Adel an, der in Limburg in offener, zeitweise kriegerischer Opposition zu den Niederlanden stand. Zwei ihrer Brüder beteiligten sich an der Finanzierung einer anti-niederländischen Militäreinheit und wollten Roermond dauerhaft unter belgische Herrschaft bringen. Doch die 22-jährige Josephina verliebte sich in den Feind.

Jacob Werner Constantin van Gorkum verkörperte so ziemlich alles, was das katholische Roermond hasste. Er stammte aus einer reformierten Amsterdamer Familie. Der Vater war ein bekannter Militär-Kartograph, von dem Geländepläne zur Schlacht bei Waterloo stammen. Die bürgerliche Familie arbeitete für ihr Einkommen. Jacob diente in der „Koninklijke Landmacht“ der Niederlande als Oberst der Kavallerie und hatte es bis zum Miliz-Kommissar von Limburg gebracht. Im Nationalen Militär-Museum der Niederlande hat sich eine Porträt-Fotografie von ihm erhalten, die einen etwas beleibten Offizier mit schütterem Haar, ordensgeschmückter Brust, gezwirbeltem Schnäuzer und wachen, fröhlichen Augen zeigt.

Wie der Bilderbuch-Protestant van Gorkum — bürgerlich, treuer königlicher Soldat und obendrein noch elf Jahre älter als Josephina — eine junge, katholische, deutsche Adelige (die Familie stammte aus Geldern) überhaupt kennen und dann auch noch lieben lernte, ist nicht überliefert. Dass Josephina seine Liebe erwiderte und ihn heiratete, war eigentlich undenkbar. Niemand in Roermond hätte dieses skandalöse Paar getraut. Geschlossen wurde die Ehe schließlich am 3. November 1842 in dem Gelderner Dörfchen Pont.

Jacob und Josephina gelang das Unmögliche: 38 Jahre lang lebte das Paar in Roermond, offenbar sehr glücklich. 1844 wurde die erste Tochter geboren, insgesamt hatte das Paar fünf Kinder. Josephina blieb Katholikin, Jacob blieb Protestant, und irgendwie brachten die Eheleute es fertig, allen Anfeindungen gegen ihre „Mischehe“ zu trotzen, bis dass der Tod sie schied. Als Jacob am 28. August 1880 starb, hatten die religiösen Spannungen nicht nachgelassen. In Deutschland wütete der preußische Staatsprotestantismus im „Kulturkampf“ gegen alles Katholische. 1874 war der Kölner Erzbischof Paulus Kardinal Melchers (1866-1885) inhaftiert worden und 1875 ins niederländische Exil nach Maastricht geflohen. 1876 erklärten ihn die Preußen für abgesetzt und ließen ihn steckbrieflich suchen; Melchers sah Köln nie wieder. In diesem Klima gab es selbst für Tote kein Erbarmen. Argwöhnisch beäugten Protestanten wie Katholiken, wie Josephina ihren geliebten Jacob beisetzte. Sie wählte eine Grabstelle auf dem protestantischen Teil des Friedhofs, direkt an der Mauer. Die Protestanten witterten eine Provokation der katholischen Witwe: Die Grab-Stele war viel zu klein für einen verdienten niederländischen Oberst, und der Ort unmöglich — nämlich auf einem Fußweg entlang der Mauer — gewählt.

Die katholische Zufriedenheit über diesen Affront währte acht Jahre lang, bis Josephina am 29. November 1888 starb und ihre Kinder wortgetreu den letzten Willen ihrer Mutter umsetzten, die noch im Tod nicht von ihrem Mann geschieden sein wollte. Ihr Grab, auf der katholischen Seite der Mauer genau spiegelbildlich zu dem ihres Gatten angelegt, nimmt sich wie eine steinerne Umsetzung des Jesus-Wortes im Matthäus-Evangelium (Mt 19,6) aus: „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ Und entsprechend wurden die beiden Grab-Stelen mit zwei Armen verbunden, die sich die Hände reichen.

2015 ist das „Grab mit den Händen“ restauriert worden, so dass auch die Inschriften auf den Stelen und der bildhauerische Schmuck wieder gut erkennbar sind. Auf Jacobs Stele hatte Josephina bereits vermerken lassen, dass er mit ihr verheiratet war. Auf ihrer Stele ließ sie sein (bürgerliches) Wappen dem hinzufügen — in Sichtweite der pompösen Gruft ihrer Familie und der katholischen Bischöfe von Roermond. Und beide Seiten des Doppelgrabs ziert eine gleichlautende lateinische Inschrift: „Vivit post funera virtus“ — Tugend überlebt den Tod.

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