Die Koalition der Umfaller

Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück verstehen sich nicht nur gut. Sie haben auch beide keinen Fahrplan.

Berlin. Manchmal ist Angriff die beste Verteidigung. Manchmal allerdings zeigt sich darin auch die Ausweglosigkeit einer Situation. Hubertus Heil, Generalsekretär der SPD, hat gerade wieder einmal die Bundeskanzlerin ins Visier genommen - seine Bundeskanzlerin, muss man eigentlich sagen, denn obwohl Angela Merkel Vorsitzende der CDU ist, wird sie ja noch immer auch von der SPD als Koalitionspartner getragen, und damit auch von Heil.

Doch die Sache ist komplizierter. Das Superwahljahr hat begonnen, die CDU hat nach der Hessen-Wahl die Nase klar vorn. Und obwohl das alles nicht überraschend ist, kriecht die Angst vor dem Machtverlust wie dichter Nebel durch die Flure des Willy-Brandt-Hauses.

Die Aussichten sind trübe. Heil muss etwas tun. Also gibt er ein Interview und sagt: "Frau Merkel steht für programmatischen Nebel." Sie sei "nicht in der Lage, unserem Land die notwendige Orientierung für das kommende Jahrzehnt zu geben". Er legt nach: "Bei Frau Merkel ist es ja so: Jeder glaubt sie zu kennen, aber keiner weiß wirklich, wofür sie steht."

Heil wirkt dabei weniger wie ein gefürchteter Wadenbeißer. Eher fällt einem das Bild des armen Hundes ein, der laut zu bellen beginnt, als die große Katze vor ihm gerade ihre scharfen Krallen ausfährt.

Er sei froh, "dass angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage auch Sozialdemokraten wie (Finanzminister) Peer Steinbrück Verantwortung tragen", sagt Heil noch - als schon die nächste Umfrage neuen Nebel ins Willy-Brandt-Haus pustet und er darin versinkt.

Nun hat Heil bei genauerer Betrachtung ja nicht ganz unrecht mit seiner Merkel-Kritik. Seit Beginn der Großen Koalition hat man den Eindruck, die Politik der Kanzlerin habe keine Richtung.

Es scheint, allein der Weg - das Funktionieren der Koalition - sei das Ziel. Merkels Stil, lieber abzuwarten, statt zu handeln, lieber zu moderieren, statt eine Ansage zu machen, bekommt in der Wirtschafts- und Finanzkrise fast karikaturenhafte Züge. Merkel hat keine Linie. Sie wirkt getrieben, statt selber anzutreiben.

Am deutlichsten wurde das zuletzt beim Thema Steuersenkungen. Noch auf dem CDU-Parteitag Ende November in Stuttgart hatte sie sich massiv gegen kurzfristige Steuersenkungen ausgesprochen. Dafür sei kein Geld da. Es gab gute, vielleicht sogar die besseren Argumente gegen Merkels Position.

Aber immerhin schien es, sie habe eine. Nun, wenige Wochen später, will sie davon nichts mehr wissen. Das Konjunkturpaket II der Bundesregierung enthält nämlich genau das: Steuersenkungen. Merkel ist umgefallen.

Das ist leider nichts Neues. Zu Beginn der Großen Koalition gab Merkel grünes Licht für das Antidiskriminierungsgesetz, das sie zuvor im Bundestagswahlkampf hart kritisiert hatte. Sie gab sich überzeugt, dieses Gesetz würde der deutschen Wirtschaft schaden. Später dann wollte sie davon nichts mehr wissen.

Sie gab dem Drängen von NRW-Ministerpräsident und CDU-Vize Jürgen Rüttgers nach, die Bezugszeiten des Arbeitslosengeldes I zu verlängern, obwohl sie zuvor massiv dagegen argumentiert hatte. Sie trug das Aussetzen der Rentenformel im vergangenen Jahr mit, um die Rentner mit im Ergebnis lächerlich geringen Rentensteigerungen zu "beglücken", obwohl sie dies für eine ordnungspolitische Sünde hielt. Sie winkte den Post-Mindestlohn durch, obwohl ihr klar war, dass sie die privaten Briefzusteller damit de facto vom Markt fegen würde. Prinzipientreue sieht anders aus.

Aber: Merkel ist nicht die Einzige, die immer wieder umfällt. Es gibt einen Mann an ihrer Seite, der - ebenso wie Merkel - einen hervorragenden Ruf in der Öffentlichkeit genießt, aber seine Ansichten zuweilen wechselt wie seine Hemden. Die Rede ist von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, den Hubertus Heil wieder einmal in den Himmel lobte.

Steinbrücks größte Leistung ist, dass er Kompetenz ausstrahlt. Er gibt den Menschen in der Krise ein gutes Gefühl. Von einem wie ihm möchte man regiert werden. Oder lieber nicht?

Auch Steinbrück hatte - mit Merkel - eine Staatsgarantie für deutsche Sparer ausgeschlossen. Auch Steinbrück hatte Steuersenkungen abgelehnt. Einen Rettungsschirm für Banken nannte er "Unsinn". Am Donnerstag gibt es all das: den Schirm, die Steuersenkungen und die Staatsgarantie.

Auf den hoch offiziellen Internetseiten der Bundesregierung findet man unter der Überschrift "Ich gehorche der Vernunft" noch immer ein Interview des "Spiegel" mit Steinbrück vom 1.Dezember 2008. Die Spiegel-Redakteure kritisieren das Konjunkturpaket I, das 2009 nicht mehr als fünf Milliarden Euro umfasst: "Das erscheint uns in der Tat zu wenig."

Darauf Steinbrück patzig: "Es kommt doch nicht auf den Zeitpunkt der Planung an, sondern auf die Wirkung! Wie viel genau hätten die Herren denn gern? Weitere 25 Milliarden, 50 Milliarden? Oder darf’s noch ein bisserl mehr sein?" Wenige Wochen später verteidigte Steinbrück mit Verve das Konjunkturpaket II im Bundestag.

Volumen: 50 Milliarden Euro.

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