Die Kanzlerinnendämmerung?

Heute starten die Sondierungen für die Jamaika-Koalition. Es herrscht rund um Angela Merkel eine Atmosphäre zum Davonlaufen.

Die Kanzlerinnendämmerung?
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Berlin. Als Angela Merkel ihren Bericht zur Lage beendet hat, gibt es freundlichen Applaus der Abgeordneten. Natürlich ist die Stimmung nicht euphorisch, als die Kanzlerin die Parlamentarier von CDU und CSU gestern auf die schwierigen Jamaika-Verhandlungen mit FDP und Grünen einstellt. Vielen in der Unionsfraktion wäre eine neue Groko lieber gewesen, als ein solches Experiment mit Grünen und FDP. Die Abgeordneten hätten den Ausführungen der CDU-Vorsitzenden interessiert gelauscht, berichten Teilnehmer. Eine Aussprache gibt es diesmal nicht. Eine Fraktion im Schwebezustand.

Wenn sich jemand im Saal überhaupt Illusionen über die anstehenden Gesprächsrunden auf dem Weg nach Jamaika gemacht hat — Merkel nimmt sie den Abgeordneten. „Wir werden nicht ohne Kompromisse auskommen“, macht sie klar — und verspricht zugleich ein „Maximum an Transparenz“. Laufend will sie die Fraktion über den Stand der Dinge unterrichten. Im Klartext: Niemand soll nachher sagen können, sie habe im kleinen Zirkel alleine gehandelt.

Jedem im Raum dürften noch die Worte Merkels in den Ohren klingen, die sie lange vor dem 24. September gesagt hatte, die Bundestagswahl werde schwer wie keine seit der Deutschen Einheit. Die Prophezeiung ist eingetroffen, am Ende steht für die CDU-Chefin das schlechteste Wahlergebnis seit 1949.

Doch es könnte für sie noch schlimmer kommen: Die heute nach dreieinhalb Wochen Durstzeit startenden Gespräche für ein Jamaika-Bündnis dürften die wohl schwersten Koalitionsverhandlungen werden, die Merkel in ihren bisher zwölf Amtsjahren führen musste. Ausgang offen. In Berlin macht das Wort von der „Kanzlerinnendämmerung“ die Runde.

Heute spricht erst eine 5+5-Runde aus CDU und CSU mit Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer an der Spitze mit der FDP, danach mit den Grünen. Es soll ausgelotet werden, ob man überhaupt eine gemeinsame Idee für die Zukunft des Landes habe, heißt es in der CDU. Am Freitag kommt dann erstmals die große Sondierer-Runde zusammen. Mehr als 50 Spitzenpolitiker wollen dann in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft direkt am Reichstagsgebäude versuchen, jene Kernthemen auszuloten, über die in den nächsten Wochen gesprochen werden soll.

Merkel und Seehofer gehen angeschlagen in die Gespräche — das macht die Sache nicht einfacher. Nicht nur, dass unklar ist, ob der jüngste Zuwanderungskompromiss von CDU und CSU die Jamaika-Gespräche heil übersteht. Die Rufe aus der Union nach einem Schwenk nach rechts und einem Generationenwechsel dürften nicht so schnell verstummen. Auch das könnte die Verhandlungen mit FDP und Grünen belasten. Wobei nur schwer vorstellbar ist, wie politische Antipoden wie Seehofer und der lautstark polternde altlinke Grüne Jürgen Trittin zusammenfinden sollen.

Christian Lindner

Was also, wenn Jamaika platzt? Gibt es einen Plan B? Offiziell setzt die Kanzlerin auf Optimismus und darauf, dass alle Seiten letztlich ein Interesse am Gelingen der Verhandlungen haben.

Aber wenn nicht? Dann müsste Merkel wohl doch noch an der Tür von SPD-Chef Martin Schulz klopfen, weil nur eine erneute große Koalition das Land vor einer raschen Neuwahl bewahren könnte. Die will Merkel unbedingt verhindern. In der CDU fürchten sie, die Rechtspopulisten von der AfD könnten dann noch wesentlich besser als am 24. September abschneiden. Und was, wenn die SPD dann zur Bedingung macht, eine Neuauflage von Schwarz-Rot sei nur ohne Merkel möglich?

Auf solche Gedankenspiele will sich in der Union derzeit niemand einlassen — zu groß ist die Sorge, dass eine sich selbst erfüllende Prophezeiung daraus werden könnte. Als unwahrscheinlich gilt aber, dass sich die Union von den Sozialdemokraten diktieren lässt, wie sie mit „ihrer“ Kanzlerin umgeht. Da ist man dann doch noch eher der gute, alte Kanzlerinnen-Wahlverein.

Merkel hat zwar angekündigt, sie trete für die volle Wahlperiode von vier Jahren an. Doch was, wenn sie am Ende tatsächlich keine Regierung bilden kann? Und Merkel zu dem Schluss käme, dass der auch von ihr selbst angepeilte geordnete Übergang nicht mehr möglich ist?

Dann würde sich die engste CDU-Spitze versammeln und die Chancen für eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger bei einer Neuwahl ausloten. Wegen der notwendigen Regierungserfahrung kämen dabei wohl zuerst die CDU-Ministerpräsidenten in den Blick. Unterhält man sich mit Christdemokraten, fallen vor allem drei Namen: Die Saarländerin Annegret Kramp-Karrenbauer, der Hesse Volker Bouffier und auch der Nordrhein-Westfale Armin Laschet.

Also Kanzlerinnen-Dämmerung? Ihr Generalsekretär Peter Tauber sieht das nicht so. „Ich habe den Eindruck, viele Menschen sind sehr zufrieden damit, dass Angela Merkel Kanzlerin bleiben kann, einen Erfolg der Gespräche vorausgesetzt“, sagt er in Berlin. Merkel arbeite „weiter mit viel Verve für unser Land“.

Selbst die schärfsten Kritiker Merkels in den eigenen Reihen wollen derzeit nicht an eine Zeit ohne die Vorsitzende denken. In der Partei gebe es nach wie vor viel Unterstützung für sie, sagt einer, der sonst zumindest hinter vorgehaltener Hand kein Blatt vor den Mund nimmt. Parteivize Bouffier hat die Stimmung direkt nach der Wahlschlappe in Niedersachsen bei „Anne Will“ auf den Punkt gebracht. Gerade wegen der Aussicht auf Jamaika gebe es keine Alternative zur erfahrenen Kanzlerin: „Wer denn sonst?“

Einen Vorgeschmack liefern FDP-Chef Christian Lindner und Unionsfraktionschef Volker Kauder. „Ich würde mal raten, ein sondierungsfreundliches Klima in allen betroffenen Parteien zu schaffen. Und das heißt, nicht jeden Tag dem anderen eine Wurst vor die Nase zu halten“, keilt der CDU-Mann in Richtung des Liberalen. Der hatte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gesagt: „Ein Grüner, ein CSU- oder ein FDP-Finanzminister — alles wäre besser, als das Kanzleramt und das Finanzministerium weiterhin in CDU-Hand zu halten, denn so wird durchregiert. Das hat sich nicht bewährt.“ Schwarz-gelbe Zeiten mit „Wildsau und Gurkentruppe“ lassen grüßen.

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