Deutsche Spaltungen im Atomzeitalter

In der Nachkriegszeit kannte die Euphorie der Politik für die Kernenergie keine Grenzen. Doch dann begann der Abschied von der letzten großen Utopie. Ein Rückblick.

Düsseldorf. Am Anfang war das "Atom-Ei". Der für 586000 Mark aus den USA importierte Forschungsreaktor sollte die junge Republik in die nukleare Epoche führen. Doch bevor am 31.Oktober 1957 in Garching bei München die erste Kettenreaktion auf deutschem Boden stattfinden konnte, gab es für die Herren aus der Politik eine zünftige "Atom-Mahlzeit": Auf der Karte standen "Uranstäbe (Weißwürste), "Vorfluterbrühe mit Kerneinlage" (Leberknödelsuppe) und "radioaktives Kühlwasser" (Bier).

Dass die neckische Wortspielerei des Festkomitees niemandem den Appetit verdarb, lag am Zeitgeist, am atomaren Glück einer ganzen Generation. Nur zwölf Jahre nach dem Grauen von Hiroshima und Nagasaki zweifelte kaum jemand daran, dass das Monster gezähmt war.

Der Geist aus der Uranmaschine spukte überall. Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke (CDU) etwa träumte davon, Pflanzen radioaktiv zu bestrahlen, um mit Mutationen den Hunger auf der Welt für immer zu besiegen. Auch die Fantasie der Ingenieure brannte durch: Jets mit Atomantrieb sollten um den Globus fliegen, gewaltige Nuklear-Busse und -lokomotiven über die Kontinente rasen.

Stolz stellte Ford 1958 das Konzept für den atomgetriebenen Zukunftswagen Nucleon mit einem Reaktor im Kofferraum vor. Gleichzeitig bastelten US-Konzerne an Heizkörpern mit Uranbrennstäben - behagliche Wärme sollte zum Spottpreis aus Heim-Reaktoren strömen.

In Bonn sorgte die allgemeine Hurra-Stimmung aber nicht nur für strahlende Gesichter. Weil die Alliierten den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst die Kernforschung verboten hatten, quälte sich die junge Republik mit der Angst, als "nuklearer Habenichts" den Anschluss an den internationalen Atomzug zu verpassen. "Entweder Deutschland hält mit", orakelte Atomminister Franz Josef Strauß (CSU), "oder es wird untergehen."

Was der Öffentlichkeit verborgen blieb: Am 11. Oktober 1957 kam es im englischen Kraftwerk Windscale (heute Sellafield) zum ersten Nuklear-Unfall. Die britische Regierung vertuschte die schwere Panne, und die freigesetzte radioaktive Wolke trieb unbemerkt über den europäischen Kontinent.

Erst der Gau von Tschernobyl und die Präsenz der Grünen in den Parlamenten brachen in den achtziger Jahren die Macht der Atom-Lobby. Zu Beginn des neuen Jahrtausends warf die rot-grüne Bundesregierung dann die Zukunftsvisionen der Nachkriegszeit auf den Müllhaufen der Geschichte: Bis 2021 sollen alle Meiler abgeschaltet sein. No future, made in Germany.

1938: Den deutschen Wissenschaftlern Otto Hahn und Fritz Straßmann gelingt es, ein Uran-Atom zu spalten. Die Grundlage für die spätere militärische und zivile Nutzung der Kernenergie.

1951: Im US-Bundesstaat Idaho wird mit einem Versuchsreaktor erstmals Strom durch Kernenergie erzeugt.

1955: Die Bundesrepublik wird souverän und darf in die zivile Nutzung der Kernenergie einsteigen. Erster Minister für Atomfragen im Kabinett Adenauer wird Franz-Josef Strauß (CSU).

1957: Am 31. Oktober geht der Forschungsreaktor der TU München - das "Atom-Ei" - in Betrieb. Strom erzeugt der Reaktor noch nicht.

1961: Im Juni geht der Forschungsreaktor Kahl bei Karlsruhe an das Netz. Es ist der erste deutsche Reaktor, der Strom produziert - allerdings sehr geringe Mengen.

1967: Die Suche nach geeigneten Endlagern für radioaktive Abfälle beginnt. Bis 1978 werden schwach strahlende Abfälle in der Schachtanlage Asse deponiert, später im Endlager Morsleben.

1969: Mit einem Atomkraftwerk bei Obrigheim (Baden-Württemberg) geht das erste rein kommerzielle Kernkraftwerk ans Netz. In den folgenden Jahren gibt es einen regelrechten Bauboom in Deutschland.

1974: Mit BiblisI geht der zur damaligen Zeit weltweit größte Reaktor in Betrieb. Seine Leistung beträgt 1200 Megawatt.

1975: Auch im badischen Wyhl soll ein Kernkraftwerk entstehen, doch die dortigen Landwirte haben Angst. Zusammen mit Umweltschützern besetzen sie den Bauplatz und erzwingen so das Ende der Pläne. Dieser Erfolg gilt als Geburtsstunde der Anti-AKW-Bewegung.

1982: Im münsterländischen Gronau beginnt der Bau der ersten großtechnischen Urananreicherungsanlage (UAA) Deutschlands. Die UAA ist in den folgenden Jahren immer wieder Ziel großer Protestaktionen.

1984: In Gorleben beginnt die Einlagerung schwach strahlender Atomabfälle. Das Zwischenlager selbst, aber auch die Castor-Transporte zum Zwischenlager, sind in den folgenden 20 Jahren immer wieder Ziel großer Demonstrationen.

1986: Der Gau im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl sorgt in Deutschland für einen sprunghaften Anstieg der Skepsis gegenüber der Kernenergie.

2000: Die Energieversorger einigen sich mit der rot-grünen Bundesregierung auf den Atomausstieg. Demnach soll der letzte Reaktor voraussichtlich 2021 vom Netz gehen. Die Restlaufzeiten der Atomanlagen können jedoch auf Antrag "umgeschichtet" werden.

2007: Nach einem Brand im Kernkraftwerk Krümmel beginnt eine neue Debatte über die Sicherheit der Anlagen. Strahlung wurde bei dem Feuer nicht freigesetzt.

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