Der Jemen versinkt im Chaos

Der Regierung entgleitet die Kontrolle. Wer die Morde verübte, ist weiterhin unklar.

Sanaa/ Amsterdam. Das Geiseldrama in der jemenitischen Provinz Saada bringt die Regierung des arabischen Landes in große Bedrängnis.

Denn die Tatsache, dass eine skrupellose Verbrecherbande in der Lage ist, im Jemen ausländische Helfer zu verschleppen, mehrere Tage lang zu verstecken und zu ermorden, zeigt, dass die Sorgen ausländischer Geheimdienste nicht unbegründet sind. Sie warnen seit einigen Monaten verstärkt vor einem Zerfall des Staates am Südzipfel der arabischen Halbinsel.

Erst in der vergangenen Woche hatte die jemenitische Regierung einen Bericht der "New York Times" schroff zurückgewiesen, in dem es geheißen hatte, Dutzende Angehörige des Terrornetzwerkes El Kaida von Osama bin Laden seien kürzlich von Pakistan nach Somalia und in den Jemen eingesickert. Laut dem Bericht befürchten US-Beamte, der Jemen könne bald genauso im Chaos versinken wie das Bürgerkriegsland Somalia.

Schon jetzt gibt es im Jemen etliche Regionen, in denen der Staatsmacht die Kontrolle mehr oder weniger entglitten ist. Dort haben entweder El-Kaida-Terroristen, südjemenitische Separatisten, mächtige Stammesführer oder Schiiten-Rebellen das Sagen.

In den Nordprovinzen, wo die Mitarbeiter der Wohltätigkeitsorganisation verschleppt wurden, blüht der Handel mit harten Drogen. Der Jemen, wo die Kaudroge Khat legal verkauft wird, ist dabei ein Transitland. Die Konsumenten sitzen offenbar in Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten.

In einem Bericht, den die staatliche jemenitische Nachrichtenagentur Saba veröffentlichte, heißt es: "Der Drogenschmuggel nimmt zu, wenn Krieg ausbricht, so wie in Saada (wo die Regierung seit 2004 gegen schiitische Rebellen kämpft), weil die Händler die Situation ausnutzen."

Zum Mord an den drei Frauen hat sich bislang niemand bekannt. Auf den Websites der Islamisten, auf denen El Kaida und andere islamistische Terrororganisationen in derartigen Fällen ihre Bekennerschreiben platzieren, ist bislang keine Stellungnahme zu der Entführung aufgetaucht.

Alle maßgeblichen Oppositionsgruppen des Jemen haben die Geiselnahme scharf verurteilt. Sie sind, genau wie die Regierung, der Ansicht, dass Kriminelle dem Ansehen des Jemen geschadet hätten, indem sie unschuldige Ausländer angriffen, "die uns wertvolle Hilfe geleistet haben".

Eine Organisation, die diese Hilfe leistet, ist Worldwide Services. Dort waren die ermordeten Frauen angestellt. Doch wer in Holland nach einem Hauptquartier der Organisation sucht, der sucht vergebens. Ein Fax, ein Telefon und ein Aktenschrank - viel mehr besitzen die seit 1989 in den Niederlanden registrierten Helfer dort nicht.

Ihre Quasi-Zentrale befindet sich in einem Privathaus des Dorfes Bleiswijk nördlich von Rotterdam. Es gibt viele solcher kleinen privaten Hilfsorganisationen. Dass sie unscheinbar sind, macht sie nicht weniger effektiv als die Goliaths der globalen Helferbranche.

"Mehr als das, was wir haben, brauchen wir hier in Holland auch nicht, um etwas für Menschen in Not zu tun", sagt der Arzt Paul Lieverse, der die Fäden zusammenhält. Die finanziellen Mittel kämen von "vielen Spendern, teils Stiftungen, teils von Freunden und Verwandten".

Das Hauptengagement gilt einer 30-Betten-Klinik in Saada. Stolz verweist Lievers auf deren Bilanz: 600 Operationen pro Jahr, 4.000 Geburten, 70.000 ambulante Behandlungen, 13.000 Impfungen, 9.000 Zahnbehandlungen und schließlich auch die Ausbildung von Hebammen und Schwestern. All das ist nun durch die Morde an den Helfern infrage gestellt.

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