Bundespolitiker schätzen "neue Qualität der Proteste" in Russland

Politiker aller Bundestagsparteien haben sich vom Vorgehen der russischen Behörden gegen Regimekritiker im Land distanziert.

Nach landesweiten Kundgebungen gegen die russische Regierung ist der bekannte Kreml-Kritiker Alexander Nawalny von einem Moskauer Gericht zu 30 Tagen Arrest verurteilt worden.

Nach landesweiten Kundgebungen gegen die russische Regierung ist der bekannte Kreml-Kritiker Alexander Nawalny von einem Moskauer Gericht zu 30 Tagen Arrest verurteilt worden.

Foto: dpa

Berlin/Moskau. Politiker aller Bundestagsparteien haben sich vom Vorgehen der russischen Behörden gegen Regimekritiker im Land distanziert. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sieht in der jüngsten Protestwelle eine neue Qualität der politischen Auseinandersetzung in Russland.

„Es gibt eine aktive Bürgergesellschaft in Russland, die man nicht unterschätzen darf“, sagte Erler unserer Redaktion. „Nachdem seit den letzten Wahlen kein einziger Oppositionspolitiker mehr in der Duma sitzt, bildet sich nun offenbar eine andere Form des bürgerlichen Protests heraus.“

Nach landesweiten Kundgebungen gegen die russische Regierung war der bekannte Kreml-Kritiker Alexander Nawalny von einem Moskauer Gericht zu 30 Tagen Arrest verurteilt worden. Allein in St. Petersburg hatte es nach offiziellen Angaben mehr als 500 Festnahmen gegeben. Bereits Ende März war es zu großen Demonstrationen gegen die russische Administration gekommen.

Als Auslöser galt damals ein von Nawalny verbreitetes Video über Bereicherungen des heutigen Regierungschefs Dmitri Medwedjew. Inzwischen ist dieser Film im Internet 26 Millionen Mal abgerufen worden. „Tatsächlich ist Korruption in Russland ein großes Problem“, erklärte Erler. Dass der Kreml den Unmut in der Bevölkerung sehr ernst nehme, zeige neben der Verhaftung Nawalnys auch die Strategie der Behörden, Demonstrationsorte zu verlagern, um ihnen die öffentliche Wirksamkeit zu nehmen. Erler stellte allerdings auch klar, dass von Nawalny politisch „nicht viel“ zu erwarten sei. „Er ist ein Populist und hat auch Kontakte zur rechtsnationalistischen Szene“.

Der Vorsitzende der deutsch-russischen Parlamentariergruppe des Bundestages, Bernhard Kaster (CDU), appellierte an die Regierung in Moskau, den Dialog mit den Demonstranten zu suchen. „Russland sollte mehr Mut zu einer starken Bürgergesellschaft haben, zu einer freieren Gesellschaft. Nur dadurch kann das Land sein Potenzial ausschöpfen“, sagte er unserer Redaktion. Es gebe eine Unzufriedenheit vor allem in der jüngeren Generation über die Korruption, aber auch Einschränkungen demokratischer Rechte und der Medienfreiheit. „Deshalb sind diese Demonstrationen auch nicht nur als Pro-Nawalny-Kundgebungen zu verstehen“. Ihr Anliegen sei viel breiter, meinte Kaster.

Auch Politiker der Opposition gingen auf Distanz zur Regierung in Moskau. Nawalny lege mit seinem Kampf gegen Korruption auf „beeindruckend störrische und erfolgreiche Weise den Finger in eine der schlimmsten Wunden Russlands“, meinte der Außenexperte der Grünen, Jürgen Tritin. „Wer mit Verboten und Massenverhaftungen auf Kritik reagiert, scheint Angst zu haben“, so Trittin.

Aus der eher russland-freundlichen Linkspartei kam ebenfalls Kritik. Der außenpolitische Sprecher Jan van Aken erklärte auf Nachfrage: „Die Demoverbote, die willkürlichen Verhaftungen und die Beschneidung der Meinungsfreiheit müssen aufhören, in Moskau wie in jedem anderen Land der Erde“. Während sich die russische Elite die Taschen fülle, werde die soziale Lage in Russland für immer mehr Menschen immer prekärer. „Und daran sind zwar auch, aber keinesfalls ausschließlich die westlichen Sanktionen schuld, wie der Kreml glauben machen will“, sagte van Aken.

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