Ankara verlangt von Berlin Auslieferung von Gülen-Anhängern

Istanbul/Berlin (dpa) - Nach dem Putschversuch in der Türkei fordert die islamisch-konservative Regierung von Deutschland die Auslieferung türkischer Gülen-Anhänger.

Ankara verlangt von Berlin Auslieferung von Gülen-Anhängern
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Damit droht neuer Streit zwischen Ankara und Berlin. Per Notstands-Dekret ordnete Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Schließung von mehr als 100 Medien an.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ermahnte Erdogan zu mehr Zurückhaltung im Umgang mit Gegnern. Sie zeigte sich besorgt über die jüngsten Entwicklungen in der Türkei, in der seit Donnerstag vergangener Woche der Ausnahmezustand gilt.

In einem Rechtsstaat müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit „unter allen Umständen“ gewahrt werden, sagte Merkel. „Die Sorge besteht darin, dass sehr hart vorgegangen wird, und dieses Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht immer im Zentrum steht.“ Gerade angesichts von mehr als drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland habe die Bundesregierung daran jedoch „allergrößtes Interesse“. Die Eröffnung neuer Kapitel in den Beitrittsverhandlungen zwischen EU und Türkei schloss Merkel aus.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte dem Sender CNN Türk: „Wie Sie wissen, sind Richter und Staatsanwälte (der Gülen-Bewegung) nach Deutschland geflohen. Und Deutschland hat die Aufgabe, sie auszuliefern.“ Schon vor dem Putschversuch habe es Auslieferungsforderungen der Türkei an die Bundesrepublik gegeben, „aber von nun an werden wir uns diesen Themen auf einer anderen Ebene widmen. Sie müssen sie ausliefern.“ Die Gülen-nahe Stiftung Dialog und Bildung in Berlin nannte die Forderung „absurd“.

Seit dem Putschversuch vom 15. Juli wird die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei diskutiert. Erdogan hat angekündigt, die Wiedereinführung zu billigen, sollte das Parlament sie beschließen. Die Regierung macht die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Von den USA fordert sie die Auslieferung Gülens.

Mit der Forderung der Türkei nach einer Auslieferung von mutmaßlichen Gülen-Anhängern droht nach dem Konflikt um die Völkermord-Resolution des Bundestages zu den Massakern an den Armeniern neuer Streit zwischen der Ankara und Berlin. Bereits die Resolution vom 2. Juni hatte zu einem schweren Zerwürfnis geführt.

Der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, bekommt seit diesem Bundestagsbeschluss keine Termine im Außenministerium oder in anderen Regierungsstellen mehr, wie die Deutsche Presse-Agentur in Ankara erfuhr. Anfragen würden nicht beantwortet. Deutsche Diplomaten unterhalb der Botschafterebene erhielten zwar gelegentlich noch Termine. Minister Cavusoglu selber müsse aber jedes Treffen billigen.

Mit dem jüngsten Dekret Erdogans wurde die Schließung von drei Nachrichtenagenturen, 16 Fernsehstationen, 23 Radiosendern, 45 Zeitungen, 15 Magazinen sowie 29 Verlagshäusern und Pressevertrieben angeordnet. Mit demselben Erlass wurden außerdem 1684 Offiziere unehrenhaft aus den Streitkräften entlassen, davon 149 im Generalsrang. Das entspricht weit mehr als einem Drittel aller Generäle des Nato-Partners Türkei. Erdogan hat angekündigt, den Staat von Anhängern der Gülen-Bewegung zu „säubern“.

Unter den Medien ist die Zeitung „Zaman“. Im März war das einstige Flaggschiff-Medium der Gülen-Bewegung bereits unter Zwangsverwaltung gestellt und auf Regierungskurs gezwungen worden. Die Auflage sank von mehreren Hunderttausend auf zuletzt wenige Tausend Exemplare. Am Mittwoch hatte die Staatsanwaltschaft die Festnahme von 47 ehemaligen „Zaman“-Mitarbeitern angeordnet. Bereits am Montag war die Festnahme von 42 Journalisten auch anderer Medien angeordnet worden.

Nach Regierungsangaben wurden seit dem Putschversuch vor knapp zwei Wochen mehr als 15 800 Menschen festgenommen, etwa 10 000 davon aus dem Militär. Insgesamt wurde gegen mehr als 8100 davon Haftbefehl erlassen, rund 3000 wurden freigelassen. Der Rest ist weiter in Polizeigewahrsam. Nach Erdogans erstem Notstands-Dekret vom Samstag können Festgenommene bis zu 30 Tage festgehalten werden, bis sie einem Haftrichter vorgeführt werden müssen. Zuvor waren es vier Tage.

Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu wurden inzwischen mehr als 66 000 Staatsbedienstete suspendiert. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) kritisierte in den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“ (Freitag), das Vorgehen der türkischen Regierung gehe „weit über jedes Maß hinaus“.

Knapp zwei Wochen nach dem Putschversuch aus den Reihen der Armee tagte am Donnerstag in Ankara der Oberste Militärrat. Dabei sollte es um Reformen in der Armee und die Neubesetzung der Stellen gehen, die durch Verhaftungen und Entlassungen von Offiziere freigeworden sind. An dem eintägigen Treffen unter Vorsitz von Ministerpräsident Binali Yildirim nahmen unter anderem Verteidigungsminister Fikri Isik und Armeechef Hulusi Akar teil. Aus Regierungskreisen hieß es, am Freitag sollten die Entscheidungen Erdogan zur Billigung vorgelegt werden.

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