Syrien muss Giftgasbestände binnen Wochenfrist offenlegen

Genf/New York/Paris (dpa) - Für Syrien tickt die Uhr: Das Regime in Damaskus muss seine Giftgasbestände bis kommenden Samstag komplett offenlegen.

In den nächsten Monaten sollen alle Chemiewaffen aus dem Bürgerkriegsland gebracht und zerstört werden. Darauf einigten sich US-Außenminister John Kerry und sein russischer Kollege Sergej Lawrow in Genf. Trotz aller technischen Probleme soll die Abrüstung der syrischen C-Waffen bereits Mitte 2014 abgeschlossen sein. Will Syrien nicht mitmachen, hält sich Washington militärische Optionen offen.

Nach der Einigung könnte es bereits Ende der Woche eine neue Syrien-Resolution des UN-Sicherheitsrats geben. Die Arbeiten an einem Entwurf würden an diesem Montag bei einem Treffen mit den Außenministern aus Großbritannien und den USA in Paris beginnen, sagte Frankreichs Präsident François Hollande am Sonntagabend in einem Fernsehinterview. Am Dienstag werde Frankreichs Außenminister Laurent Fabius nach Moskau reisen, um die Gespräche abzuschließen. Bis Ende der Woche könnte es eine Abstimmung im Sicherheitsrat geben.

Die russisch-amerikanische Grundsatzvereinbarung bezeichnete Hollande als „wichtige Etappe“, sie sei aber nicht der Endpunkt. „Wir müssen darauf hinarbeiten, dass es Sanktionen gibt, wenn die Vereinbarung nicht eingehalten wird.“ Zuvor hatte schon US-Präsident Barack Obama klargemacht, dass ein Militärschlag gegen Syrien nicht vom Tisch ist.

Die USA drohen weiterhin mit einem Angriff, falls Syrien nicht mitspielt. Dazu erhalten sie ihre militärischen Kapazitäten dazu in der Region aufrecht. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon will dem Sicherheitsrat an diesem Montag voraussichtlich den Syrien-Bericht der Chemiewaffeninspekteure vorlegen. Die UN-Experten haben in Syrien nach Beweisen dafür gesucht, dass im August in der Nähe von Damaskus Giftgas gegen die syrische Bevölkerung eingesetzt wurde.

Obama lobte am Sonntag ausdrücklich den Einsatz seines russischen Kollegen Wladimir Putin. In einem Interview des Senders ABC wies er darauf hin, dass Putin den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad weiterhin schütze. Aber hier gehe es nicht um Russland gegen die USA: „Dies ist nicht der Kalte Krieg.“

Der syrische Minister für nationale Aussöhnung, Ali Haidar, wertete die Vereinbarung als „Sieg für Syrien, der dank unseren russischen Freunde erzielt wurde“. Mit ihr sei ein Krieg in der Region verhindert worden, sagte er der russischen Agentur RIA Novosti „Einerseits wird sie den Syrern helfen, die Krise zu überwinden, andererseits hat sie einen Krieg gegen Syrien verhindert und denen, die diesen Krieg entfesseln wollten, den Anlass dazu genommen.“

International wurde der Plan begrüßt, auch China äußerte sich positiv. Syriens Rebellen wollen die Vereinbarung dagegen ignorieren. Kritik kam auch aus den USA. Regierungskritische US-Senatoren sprachen vom „Beginn einer diplomatischen Sackgasse“.

Die russisch-amerikanische Initiative sieht vor, dass Inspekteure der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) spätestens Mitte November in Syrien mit ihrer Kontrolltätigkeit beginnen. Sie sollen auch Vorbereitungen für den Abtransport der Waffen treffen.

Kerry betonte nach der Einigung von Genf, die Welt erwarte von Assad, seine Zusage der Vernichtung seiner Giftgasarsenale umgehend zu erfüllen: „Es gibt keinen Raum für Spielchen oder Vermeidung, es kann nur die volle Befolgung durch das Assad-Regime geben.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einer sehr guten Nachricht. Sie sei sehr froh, „dass wir ein Stück Hoffnung sehen“. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton appellierte an den Sicherheitsrat, sich rasch auf eine Resolution zu einigen, die dem Verfahren weitere Autorität verleihe.

Umstritten ist, ob die Vereinbarung bereits einen Weg zu einem Angriff für den Fall aufzeigt, dass Syrien seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Denn in der Vereinbarung heißt es, der UN-Sicherheitsrat solle bei Verstößen „Maßnahmen unter Kapitel VII der UN-Charta verhängen“. Dieses erlaubt als letztes Mittel Gewalt.

Russlands Außenminister Lawrow stellte aber klar, dass allein mit der Genfer Vereinbarung keine automatische Gewaltanwendung gegen Syrien gerechtfertigt werden könne. In der Vereinbarung seien „natürlich weder Gewalt noch automatische Sanktionen erwähnt“, sagte Lawrow. „Jedwede Zuwiderhandlung muss vor dem UN-Sicherheitsrat überzeugend und eindeutig bewiesen werden.“ Russland gehört dort zu den fünf Veto-Mächten und könnte jede Resolution verhindern, die ein militärisches Eingreifen in Syrien völkerrechtlich zulassen würde.

Die oppositionelle Freie Syrische Armee, die Medienberichten zufolge inzwischen von den USA Waffen bekommt, lehnte die Genfer Vereinbarung rundum ab. „Wir werden den Vorschlag vollständig ignorieren und weiterkämpfen bis zum Sturz des Regimes“, sagte der FSA-Generalstabschef Salim Idriss in Istanbul.

In Syrien rüsten derweil die radikalislamischen Kämpfer auf. In den vergangenen zwei Wochen seien 1500 ausländische Kämpfer ins Land gekommen, hieß es aus Islamistenkreisen. Dort wird an vielen Fronten gekämpft - mehr als 100 000 Menschen verloren bislang ihr Leben. Mehr als vier Millionen Menschen sind laut der UN im Land auf der Flucht.

Die zerstrittene syrische Oppositionsplattform Syrische Nationale Koalition wählte am Samstag in Istanbul eine neue Führung. Ministerpräsident für eine Regierung der Rebellengebiete soll nun der als gemäßigt geltende Islamist Ahmad Tumeh al-Chader werden.

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