Sarkozy und der deutsche Weg

Der Präsident will sein Land nach Vorbild des Nachbarn reformieren und damit zugleich im anstehenden Wahlkampf punkten.

Paris. Das Protokoll des Präsidentenpalasts hat für das große Sarkozy-Interview wieder einmal ganze Arbeit geleistet. Als Schauplatz des Fernsehspektakels hatten die Zeremonienmeister am Sonntagabend den prunkvollen Empire-Festsaal des Elysée-Palastes ausgewählt. Nicht weniger als acht Fernsehsender hatten sich zur besten Sendezeit zugeschaltet, vor den Bildschirmen hockten mehr als 16 Millionen Franzosen: die „Sarko-Show“ — ein Straßenfeger. Zum letzten Mal?

Den meisten verging bei dem kargen Menü, das Chefkoch Nicolas Sarkozy der Nation servierte, sehr schnell der Appetit. Zwar versuchte der Präsident, die Anhebung der Mehrwertsteuer um 1,6 Punkte auf 21,2 Prozent als Einführung einer „Sozialen Mehrwertsteuer“ schmackhaft zu machen.

Gut zehn Milliarden Euro sollen dadurch in die Staatskasse fließen. Aber sein Versprechen, die Preise würden trotzdem stabil bleiben, hatte einen ebenso faden Beigeschmack wie die Ankündigung, durch gezielte Betriebsvereinbarungen aus dem Korsett der 35-Stunden-Woche ausbrechen zu wollen. Obendrein verkündete er, dass Frankreich als erstes EU-Land die Finanztransaktionssteuer einführen werde.

Die zweitgrößte Wirtschaftsnation in Europa schreibt derzeit rote Zahlen: Die Arbeitslosenquote ist mit 9,8 Prozent erschreckend hoch und das Wachstum (plus 0,5 Prozent) im Keller. Hinzu kommen ein Rekorddefizit im Außenhandel und eine Neuverschuldung von mehr als fünf Prozent. Was bleibt Küchenmeister Sarkozy unter diesen widrigen Vorzeichen anderes übrig, als der Nation, die systematisch über ihre Verhältnisse zu leben liebt, eine strenge Diät zu verpassen?

Sein Problem: In gut 80 Tagen wählt Frankreich einen neuen Präsidenten. Der sozialistische Herausforderer François Hollande hat sich in Umfragen einen komfortablen Vorsprung erarbeitet. Im Elysée macht sich Götterdämmerung breit. Der Amtsinhaber, mit dem Rücken zur Wand stehend, setzt anscheinend alles auf eine Karte.

Sarkozy machte keinen Hehl daraus, dass er Deutschland als leuchtendes Vorbild betrachtet. Während die französische Industrie wegen hoher Lohnnebenkosten Zigtausende Jobs ins Ausland verlagere, dozierte Sarkozy, habe Deutschland seine Sozialsysteme längst erfolgreich modernisiert und die exportorientierte Wirtschaft wettbewerbsfähig gemacht.

Der Präsident lobte auch den deutschen Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und seine „schmerzhaften Reformen“ von 2003. Und fragte mit einem Unterton der Verzweiflung: „Sie haben funktioniert. Warum klappt es nicht auch bei uns?“

Kaufen ihm die Franzosen seine Rolle als „Sanierer“ ab, könnte Sarkozy in allerletzter Sekunde den Kopf aus der Schlinge ziehen. Ansonsten droht ihm dasselbe Schicksal wie Schröder: die Abwahl.

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