Pussy Riot: Nach Putin auch Kirche gegen zu harte Strafe

Moskau (dpa) - Im Fall der wegen Rowdytums angeklagten Moskauer Skandalband Pussy Riot haben Kremlchef Wladimir Putin und die Kirche erstmals „nicht zu harte Strafen“ für ihre Kritikerinnen angemahnt.

„Ich denke nicht, dass sie dafür so hart verurteilt werden sollten“, sagte Putin. Der Chefideologe der russisch-orthodoxen Kirche, Wsewolod Tschaplin, begrüßte Putins Worte am Freitag. Es sei „dumm“, das umstrittene Protestgebet der Punkband in der Erlöserkathedrale weiter zu verfolgen. Die Anwälte der drei Angeklagten sprachen von einem wichtigen politischen Signal für einen Wendepunkt.

Maria Aljochina (24), Nadeschda Tolokonnikowa (22) und Jekaterina Samuzewitsch (29) drohen nach einem Punkgebet gegen Putin und Patriarch Kirill in der wichtigsten russischen Kathedrale sieben Jahre Straflager wegen Rowdytums aus religiösem Hass. Die Anwälte halten den Prozess vor dem Chamowniki-Gericht in Moskau für eine politische Inszenierung ohne rechtliche Grundlage.

Nach fünf Tagen Verhandlungsmarathon gab es damit erstmals Hoffnung für die Musikerinnen, wie die Verteidigung mitteilte. Die Worte Putins betrachteten Kritiker zwar als neuen Beweis dafür, dass Russland ein Staat mit Justizwillkür sei, in dem Politiker sich in Verfahren einmischten. Sie könnten aber in diesem Fall einen Wendepunkt in dem international kritisierten „Justizskandal“ bedeuten, betonte Verteidiger Nikolai Polosow.

Strafrichterin Marina Syrowa setzte die Verhandlung weniger streng fort als zuletzt und gewährte gelegentlich Pausen, wie Beobachter berichteten. Allerdings stehe Syrowa im Ruf, in Eilfahren meist nur Schuldsprüche zu fällen, betonten Kommentatoren.

Auch Putin und die Kirche verurteilten ungeachtet ihrer erstmals milderen Töne das Punkgebet erneut mit klaren Worten. „Darin ist nichts Gutes“, sagte Putin. Er hatte die Aktion bereits kurz nach seiner Wiederwahl als Präsident im März kritisiert. „Ich hoffe, dass das Gericht eine richtige Entscheidung trifft, eine begründete“, sagte der Präsident am Rande eines Besuchs bei den Olympischen Spielen in London am Donnerstagabend.

Putin wies vor Journalisten darauf hin, dass die Verletzung religiöser Gefühle etwa in Israel oder im islamisch geprägten russischen Konfliktgebiet Nordkaukasus für die Frauen hätte deutlich schlimmer ausgehen können. Als Chefideologe des Patriarchats sagte Tschaplin, die Kirchenaktion sei „sehr dumm und verletzend für die Gläubigen“ gewesen. „Aber es ist auch eine Dummheit, darüber unendlich zu sprechen“, sagte Tschaplin der Agentur Itar-Tass.

Tschaplin war zuvor einer der einflussreichsten Befürworter einer „harten Bestrafung“ gewesen. Liberale Kirchenkreise hatten allerdings vor einer „Hetzjagd“ gewarnt. „Rachegelüste“ statt Milde und Vergebung schadeten der christlichen Kirche nur, hieß es.

Vor dem Gericht versammelten sich erneut Anhänger der Band Pussy Riot mit den markanten farbigen Strickmasken. Einige sangen auch das umstrittene Lied „Mutter Gottes, Du Jungfrau, vertreibe Putin!“. Im Saal ließ sich Richterin Syrowa die Kleider und Masken zeigen, mit denen Pussy Riot am 21. Februar in der Kathedrale aufgetreten war. Außerdem zeigten Helfer Videoaufnahmen der schrillen Aktion.

International nimmt seit Tagen die Solidarität mit den seit März inhaftierten Frauen, von denen zwei Mütter kleiner Kinder sind, immer weiter zu. Musiker, Künstler, Schauspieler, Literaten und Politiker haben weltweit „Freiheit für Pussy Riot“ gefordert.

Mehrere Moskauer Anwälte protestierten in einem Brief gegen den „juristischen Fehlgriff“. Der Prozess sei ein „Schritt zur Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit“ in Russland. Das Gericht hatte die Untersuchungshaft für die drei Frauen zuletzt bis Januar 2013 verlängert. Das Urteil wegen des etwa einminütigen Anti-Putin-Protests in der Kirche wird kommende Woche erwartet.

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