Polen in Merkel-Aufregung - „Wir sind auch ein bisschen Kanzlerin“

Polnisches Blut in den Adern der deutschen Kanzlerin? In Polen sorgte die Nachricht über Kanzlerin-Opa Ludwik Kazmierczak für Aufregung. Nun wurde sogar ein entfernter Cousin aufgespürt.

Warschau/Posen. Dass die Chemie zwischen der Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk stimmt, war an Weichsel und Spree schon lange offensichtlich. Neu war den Polen dagegen, dass die deutsche Regierungschefin einen polnischen Großvater hatte.

Als die Nachricht aus der Biografie der Kanzlerin die Runde machte, konnte sich das Archiv des westpolnischen Posen (Poznan) kaum vor Journalistenanfragen retten. Alle wollten nach den polnischen Wurzeln von Angela Merkel graben, genauer gesagt nach Ludwig Kazmierczak, dem aus Posen stammenden polnischem Opa. In Kommentaren im Internet mischte sich in den Stolz, „ein bisschen Kanzlerin“ zu sein, auch ein bisschen Schadenfreude, jedenfalls unter den Gegnern der nationalkonservativen Opposition.

Hatte nicht noch vor wenigen Jahren der nationalkonservative Oppositionschef Jaroslaw Kaczynski der Kanzlerin Großmachtstreben vorgeworfen? Hatten nicht Kaczynski und seine Partei die Oberschlesier als „verkleidete Deutsche“ bezeichnet? „Wir haben eine fünfte Kolonne in Berlin“, hieß es in einem der zahlreichen Internet-Kommentare. Als fünfte Kolonne waren bis weit in die 1960er Jahre hinein die Menschen aus deutschstämmigen Familien bezeichnet worden.

Während Tusk Merkel zwischen Brüsseler EU-Beratungen Nachhilfe bei der Aussprache des ursprünglichen Namens ihres Großvaters gab („beim zweiten Versuch klappte es!“), standen bei Zygmunt Rychlicki die Journalisten vor der Tür. Denn der 78 Jahre alte ehemalige Buchhalter ist ein Neffe von Ludwig Kazmierczak. Er habe den Großvater der Kanzlerin zuletzt 1943 im Alter von neun Jahren auf dem Begräbnis von dessen Mutter gesehen. „Er ist mit mir in eine Bäckerei gegangen, in der Polen nicht einkaufen durften, und hat uns Brötchen gekauft“, erinnerte er sich im polnischen Fernsehen an die harten Kriegsjahre unter deutscher Besatzung.

Fotos aus dem Familienalbum kursieren seitdem in polnischen Medien, darunter ein Foto mit Angela Merkels Vater Horst Kasner als Baby. Kasner habe den Kontakt zu einem Teil der polnischen Verwandtschaft aufrecht gehalten und mit Rychlickis Onkel in Stettin (Szczecin) im Briefwechsel gestanden, erinnerte sich Rychlicki in der „Gazeta Wyborcza“.

Nach dem Tod dieses Onkels erhielt auch Rychlicki einen Brief des deutschen Cousins, in dem dieser ein bisschen von seiner Familie erzählte, darunter seiner Tochter Angela, die gerade Chemie studiere. „Aber bis letzte Woche habe ich nicht gewusst, dass Angela Merkel die gebürtige Angela Kasner ist“, beteuerte Rychlicki und überlegte: „Heißt das, dass ich die Kanzlerin duzen könnte?“

An ein Familientreffen in der Heimat des Opas mag der 78-jährige aber nicht recht glauben. „Ich glaube nicht, dass ich jetzt versuche, Kontakt aufzunehmen“, beteuerte er. „Wie sollte sie denn auch zu uns kommen?“ Er hoffe jedenfalls, dass das Interesse an den Rychlickis schnell wieder nachlässt und in der Wohnung in der dritten Etage eines Wohnblock in der „Siedlung der Kosmonauten“, einer Welt ganz weit weg von Kanzleramt und großer Politik, bald wieder die gewohnte Ruhe einkehrt.

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