Streit um Justizreform Polen hat neuen Ministerpräsidenten

Warschau/Berlin (dpa) - Der polnische Präsident Andrzej Duda hat an diesem Freitag den bisherigen Finanz- und Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki zum neuen Ministerpräsidenten ernannt.

Streit um Justizreform: Polen hat neuen Ministerpräsidenten
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Der 49-Jährige Ex-Banker gilt als Vertrauter von Jaroslaw Kaczynski (68), der als Vorsitzender der rechtskonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) als der „starke Mann“ in der polnischen Führung gesehen wird. Die PiS-Parteiführung hatte am Donnerstag entschieden, die bisherige Ministerpräsidentin Beata Szydlo durch Morawiecki zu ersetzen.

Nach seiner Ernennung bedankte sich Morawiecki bei Szydlo für „das, was sie für das weiß-rote Team“ (Polen) getan habe. Das Programm der bisherigen Regierung werde auch „der Wegweiser“ für ihn sein. Szydlo werde in Morawieckis Regierung als Vize-Ministerpräsidentin für soziale Angelegenheiten verantwortlich sein, sagte eine Sprecherin ihrer Kanzlei.

Die Bundesregierung will die engen Beziehungen zu Polen auch nach dem Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten fortsetzen. „Wir haben ein sehr starkes Interesse an einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Polen, das unser Freund und Nachbar ist“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. „Wir sind überzeugt, dass auch mit einem neuen Regierungschef wir eng zusammenarbeiten werden.“

Trotz scharfer Kritik des Europarates billigte das polnische Unterhaus am Freitag zwei von Präsident Andrzej Duda vorgelegte Gesetzentwürfe zur Justizreform. Abgeordnete der Opposition und der größte Richterbund des Landers, Iustitia, warfen der PiS vor, die Justiz unter ihre Kontrolle bringen zu wollen. Der Richterbund verkündete nach der hitzigen Sitzung im Sejm, er werde „die Menschenrechte bis zum letzten unabhängigen Richter verteidigen“. In Warschau und anderen Städten kam es zu kleineren spontanen Protesten.

Die Venedig-Kommission, die die Staaten des Europarates verfassungsrechtlich berät, warnte am Freitag, dass die Reform die Unabhängigkeit der polnischen Justiz „einer ernsthaften Gefahr“ aussetze. Die Änderungen des Präsidenten hätten nur „sehr begrenzte Verbesserungen“ gegenüber den ursprünglichen Entwürfen gebracht.

Bereits im Juli hatte die PiS drei Gesetze durchs Parlament gebracht, die das Justizsystem reformieren sollten. Präsident Duda stoppte nach Protesten im ganzen Land zwei der drei Gesetze per Veto, weil er Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit hatte. Doch auch seine Gegenentwürfe, über die am Freitag abgestimmt wurde, stellten Rechtsexperten und Opposition nicht zufrieden.

Einer der beiden Gesetzesentwürfe betrifft den Obersten Gerichtshof. Er soll eine Disziplinarkammer bekommen, die über die Arbeit der Richter im Lande wacht. Kritiker befürchten, dass diese missbraucht werden könnte, um unliebsame Richter einzuschüchtern. Auch die Venedig-Kommission äußerte Bedenken: Das Gesetz gebe den Richtern dieser Kammer Sonderbefugnisse, die sie weit über andere Richter stelle.

Kritisiert wird auch die Absenkung des Rentenalters für die Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre. Die Maßnahme diene der PiS dazu, die Kader auszutauschen, meint die Opposition.

Das zweite Gesetz betrifft den Landesjustizrat (KRS), der für die Ernennung der Richter fast aller Gerichte im Land verantwortlich ist. Das Gesetz sieht vor, dass die Richter dieser Kammer vom Parlament gewählt werden statt wie bisher von der Richterschaft selbst. Die Venedig-Kommission warnte vor einer „weitreichenden Politisierung der Kammer“.

Die Kommission veröffentlichte heute eine weitere Stellungnahme, in der sie empfahl, das Amt des Generalstaatsanwaltes und des Justizministers wieder zu trennen. Diese beiden Ämter hatte die polnische Regierung 2016 zusammengelegt.

Die Sorge vor staatlichem Einfluss auf Polens Gerichte treibt auch die EU-Kommission weiter um. Dudas Gesetze würden nicht den EU-Standards entsprechen, hatte Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans nach vorläufiger Prüfung der Reformen gesagt.

Wegen umstrittener Veränderungen des polnischen Justizsystems hatte Brüssel bereits 2016 ein allgemeines Verfahren zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet. Diese Untersuchung führte bislang zu keinem befriedigenden Ergebnis. Zuletzt drohte die EU-Kommission die Einleitung eines weiteren Verfahrens an, durch das Polen sogar bei Abstimmungen im EU-Ministerrat sein Stimmrecht verlieren kann.

Beide Gesetze müssen noch von der zweiten Kammer des Parlaments, dem Senat, angenommen und vom Präsidenten unterschrieben werden. Beides gilt als sehr wahrscheinlich.

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