Jesiden: Nach der Flucht bleibt das Trauma

Männer enthauptet, Frauen vergewaltigt und Kinder verdurstet: Jesiden, die sich vor dem IS retten konnten, berichten Fürchterliches.

Jesiden: Nach der Flucht bleibt das Trauma
Foto: dpa

Düsseldorf. Hinter Dschamih Hadschi Chalif und seiner Familie liegen schreckliche Erlebnisse, denn ihr Glaube hat sie zu Gejagten gemacht: „Als die Islamisten in unser Dorf kamen, mussten wir schnell fliehen, ohne Lebensmittel oder Wasser für die Reise mitnehmen zu können“, erzählt er. Seinen Bruder hätten die Dschihadisten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) niedergeschossen.

Wie Tausende andere Jesiden flüchteten sie vor dem Terror des IS aus ihren Heimatorten im Sindschar-Gebirge nahe der syrischen Grenze. Ihre Religion macht sie in den Augen der Islamisten zu Ketzern, zu Teufelsanbetern. Rund 35 000 Jesiden sind nun in einem Camp des UN-Flüchtlingshilfswerks in der Kurdenregion Dohuk im Nordirak untergekommen.

Mit seinen beiden Kindern, seiner Frau und den Nachbarn hatte Chalif zunächst versucht, sich in Höhlen im Sindschar-Gebirge zu verstecken. „Die Ältesten oder die, die körperlich am Ende waren, fielen zurück und wurden von den Islamisten eingeholt, die uns verfolgten.“ Chalif scrollt auf dem Handy durch die Fotos von der aufreibenden Odyssee. „Entlang des Weges fanden wir Leichen von Kindern, aber die waren nicht umgebracht worden, sondern an Hunger und Durst gestorben. Ich sah, wie eine Mutter starb, während sie ihr Kind stillte.“

Die Erinnerungen füllen seine Augen mit Tränen. „Ich werde niemals vergessen, was ich in diesen Tagen durchlebt habe.“ Seine Frau wiegt das gerade einmal ein paar Monate alte Baby im Arm. „Wir leben unter miserablen Bedingungen, dabei haben wir Glück. Meine Kinder könnten tot sein, aber wir alle sind am Leben.“

Auch die 18-jährige Chasal hatte Glück, aus ihrem Heimatort Tel Afar geflüchtet zu sein, bevor IS ihn einnahm. Aber ihre beste Freundin fiel den Islamisten in die Hände. „Sie sperrten sie in ein Zimmer. Schlossen die Türen und Fenster. Vier Männer drängten sich zu ihr ins Zimmer und vergewaltigten sie — einmal, noch einmal und noch einmal . . . Als sie einschliefen, konnte sie in die Berge fliehen“, erzählt die junge Frau und ringt nach Luft. „Abgesehen davon, dass sie uns Frauen wie Sklaven verkaufen und vergewaltigen, zwingen sie uns, IS-Kämpfer zu heiraten, damit diese uns missbrauchen. Und wenn sie uns zu gar nichts mehr gebrauchen können, bringen sie uns um.“

Chasal ist mit Freundinnen und Angehörigen zum Heiligtum der Jesiden in den Bergen von Lalisch rund 50 Kilometer von Dohuk gereist. Im Tempel hallt Aische Hedschis Klage von den Wänden wider. Ein weißes Tuch bedeckt ihr graues Haar. Sie betet für ihre Familie und ihr Zuhause. „Zwölf meiner Nichten wurden von den Islamisten entführt, als diese mein Dorf einnahmen. Seither wissen wir nicht, wie es um sie steht.“ Gedanken an Vergewaltigung oder Versklavung verdrängt sie. „Sie werden freikommen und wieder bei uns sein“, sagt sie — auch, um die eigene Hoffnung zu stärken.

Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie brutal die IS-Terroristen sind. Einen ihrer Söhne köpften die Dschihadisten, ein anderer ist verschwunden. „Mir bleibt nur, dafür zu beten, dass meine Nichten zurückkehren. Das liegt in meinen Händen. Der Rest hängt von Gott und seiner Gnade ab.“

Als die Islamisten mit ihrer Jagd auf die Jesiden anfingen, suchten Tausende Schutz im Tempel. Sie fühlten sich sicher. „Wir zählten hier fast 8000 Menschen“, sagt der Wächter Said Ismail Murad. Aber dann habe sich ein Mann im Gotteshaus das Leben genommen, Panik sei aufgekommen. „Man nahm das als eine göttliche Warnung. Die Menschen hielten es für ein Zeichen, dass sie fliehen sollten, dass die Islamisten auch hierher kommen und alle töten würden.“

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