19. Parteitag China: Wird Xi Jinping „Vorsitzender“?

Auf dem 19. Parteitag, der am Mittwoch in Peking beginnt, stellt die Kommunistische Partei die Weichen für einen „digitalen Leninismus“ .

19. Parteitag: China: Wird Xi Jinping „Vorsitzender“?
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Peking. Chinas „Panda-Diplomatie“ erinnert bisweilen an die urbane Legende, wonach die Fische im Restaurant-Aquarium des Asia-Imbisses die Höhe der monatlichen Schutzgeld-Zahlungen andeuten. Aktuell hat China seinen Nachbarn Indonesien mit zwei Bären „beschenkt“; Cai Tao und Hu Chun ziehen für zehn Jahre in den Zoo von Jakarta ein.

Formeller Anlass ist der 60. Jahrestag gemeinsamer diplomatischer Beziehungen, aber natürlich erwartet China ein Entgegenkommen bei einem Gebietsstreit vor seiner Küste. Das dürfte vertraut klingen in Berlin, dessen Zoo gerade zum 45. Jahrestag diplomatischer Beziehungen mit den Bären Meng Meng und Jiao Qing belehnt wurde. Dass Staatspräsident Xi Jinping im Juli selbst zur Übergabe anreiste, quittierte das Auswärtige Amt mit der artigen Formulierung, „dass Deutschland und China zusammenstehen, wenn es um Erhalt und Stärkung der multilateralen Weltordnung geht“.

Solche Symbolpolitik mag in westlichen Augen die Operetten-Anmutung einer maoistischen Inszenierung von Franz Lehárs „Land des Lächelns“ haben. In China verbergen sich dahinter Botschaften. So registrierte ein Korrespondent der „Deutschen Welle“ aufmerksam, dass Xi Jinping Ende Juli bei zwei öffentlichen Anlässen entgegen einer 1984 erlassenen Armeevorschrift nicht als „Herr Kommandeur“ angesprochen wurde, sondern die Volksbefreiungsarmee mit den Worten salutierte: „Seien Sie gegrüßt, Vorsitzender Xi!“ Genau das könnte Xi Jinping auf dem am Mittwoch beginnenden 19. Parteitag versuchen zu werden: Vorsitzender statt „nur“ Generalsekretär der Kommunistischen Partei (und zugleich Vorsitzender der Zentralen Militärkommission sowie Staatspräsident der Volksrepublik).

Das Amt des „Vorsitzenden“ war 1982 abgeschafft worden, seitdem sitzt der Chef auf dem 1980 geschaffenen Stuhl des „Generalsekretärs“. Fünf Jahre nach seinem Amtsantritt sitzt Staats- und Parteichef Xi Jinping mutmaßlich fest genug im Sattel, um die ungeschriebenen Gesetze der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) zu ändern. Xi hat die KPC auf seinen Kurs als Gegenentwurf zu den westlichen Demokratien festgelegt.

Chinas Berliner Botschafter Shi Mingde erklärte Ende September bei einem Empfang zum chinesischen Nationalfeiertag (und dem 45-jährigen Bestehen der deutsch-chinesischen Beziehungen), der bevorstehende Parteitag sei eine bedeutende Veranstaltung im Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand. Der Sozialismus chinesischer Prägung werde dadurch in eine neue Phase eintreten.

Wie Xi Jinping seine bisherige Arbeit bilanziert sehen will, zeigt eine Ausstellung zur Vorbereitung des Parteitags in Pekings National Museum: „Die Partei erfüllt ihre Versprechen an das Volk.“ Als sicher gilt, dass Xi den „China-Traum“ und den „chinesischen Weg“ in das Statut der KPC wird aufnehmen lassen. Wie kaum ein anderer Staats- und Parteiführer der letzten Jahrzehnte will Xi die Chinesen eng an die KPC binden und ihnen einimpfen, dass marktwirtschaftlicher Kapitalismus und liberalen Demokratie nichts als Meilensteine auf dem Weg zum Verfall durch Populismus (siehe USA) und Partikularismus (siehe Europa) sind.

Laut den Schlagworten der Propaganda-Ausstellung Xis sind Chinesen heute glücklicher und gesünder, die Nation stärker und mächtiger, und die Partei weitsichtiger und nüchterner als noch vor fünf Jahren. Zugleich warnt Xi vor „Selbstzufriedenheit“. Bei einer Parteitagung im Juli habe Xi die Beamten aufgefordert zu bedenken, „dass China noch in der primären Phase des Sozialismus steckt und es immer noch viele Herausforderungen und Schwierigkeiten auf dem Weg in die Zukunft gibt“.

Aus Sicht von Xi heißt die Lösung offenbar mehr Xi. Genau deshalb lässt die KPC in offiziellen Mitteilungen, die sich besonders an die Auslandspresse richten, derzeit verbreiten: Beim 19. Parteitag gehe es nicht um „Game of Thrones“. Im Vorfeld habe es viele Spekulationen in westlichen Medien zum künftigen Führungspersonal gegeben. Das amerikanische Fantasy-Drama „Game of Thrones“ sei gute Unterhaltung, „aber wenn man versucht, die chinesische Politik durch die amerikanische Fiktion zu verstehen oder die Mechanismen der westlichen Demokratie auf die chinesische Politik projiziert, entsteht ein verzerrtes Bild davon, wie Chinas politisches System funktioniert und warum der Parteitag für China und die Welt bedeutend ist“.

Aus Sicht von Sebastian Heilmann, dem Direktor des Instituts für Chinastudien der Duisburger Mercator-Stiftung (Merics), ist Xi ambitionierter als alle seine Vorgänger seit Mao Zedong: „Seine Ansprüche gehen über die Verteidigung des Machtmonopols der KP weit hinaus. Im Zuge der digitalen Transformation entsteht in China etwas Neues: ein „digitaler Leninismus“.

Tatsächlich plant Xi ein digitales gesellschaftliches „Bonitätssystem“, das mittelfristig jeden Bürger erfassen soll. Dadurch werde die staatliche Kontrolle viel umfassender als bisher in den Alltag eines jeden Chinesen eingreifen, so Heilmann, „von der Verkehrskontrolle über die Zahlungsmoral bis hin zur Überwachung von Äußerungen und Freundeskreisen in den sozialen Netzwerken.“Auch Unternehmen würden von der digitalen Steuerung erfasst.

Von Deutschland erwartet Xi Jinping offenbar zu seinem Big-Data-gestützten Regieren und Lenken ein freundliches Lächeln. Kaum zufällig formulierte Mei Zhaorong, ehemaliger chinesischer Botschafter in Deutschland, in dieser Woche auf einem deutschen Kanal des Staatsradios, zum gegenseitigen Verständnis und politischen Vertrauen müssten künftig auch Denkfabriken, Akademiker „und Medien“ beider Länder „positiv beitragen und nicht umgekehrt“.

Er war so taktvoll, nicht hinzuzufügen: Schließlich hat Deutschland zwei Pandas bekommen.

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