Absturz der Präsidentenmaschine lässt Polen nicht zur Ruhe kommen

Spekulationen über Sprengstoffanschlag auf Staatsoberhaupt schüren neue Verschwörungstheorien.

Warschau. Spuren von Sprengstoff am Wrack der Unglücksmaschine von Smolensk: Die Meldung schlug in Polen wie eine Bombe ein. „Das ist unwahr“, erklärte die Militärstaatsanwaltschaft noch am Dienstag.

Doch da hatte der Bericht der Zeitung „Rzeczpospolita“ bereits seine verheerende Wirkung entfaltet. In Polen wachsen die Zweifel daran, dass der Absturz des Flugzeugs im April 2010 ein Unglück war.

Die Maschine war in dichtem Nebel in eine Baumgruppe gerast und zerborsten. 96 Menschen starben, darunter Staatschef Lech Kaczynski. Dessen überlebender Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski spricht seither von einem Anschlag.

Nun sagt er: „Es war Mord. Das ist die einzige Erklärung für all die Ungereimtheiten.“ Der 63-Jährige ist davon überzeugt, dass der Kreml seinen Bruder töten ließ — mit Wissen der polnischen Regierung des Kaczynski-Gegners Donald Tusk.

„Ich weiß nicht, ob der Premier mich auch umbringen will“, erklärte Kaczynski im Eifer der Debatten über den Bericht. Tusk konterte: „Das ist absurd. Mit seinen Anschuldigungen zerstört er unser Land.“ Damit ist klar, dass die Abgründe zwischen den politischen Lagern nicht mehr zu überbrücken sind, solange Tusk und Kaczynski am Ruder sind.

Kaczynskis Theorie erhält durch den Bericht neue Nahrung. Auch die TNT-Meldung entbehrt keineswegs jeder Grundlage. Polnische Spezialisten haben das Wrack noch einmal untersucht und verdächtige Substanzen entdeckt. Es könnte sich um Reste von Weltkriegsmunition handeln, die in Smolensk die Erde verseucht hat. „Wir müssen die Laboruntersuchungen abwarten“, sagen die Staatsanwälte. Das wird ein halbes Jahr dauern.

Die Ungereimtheiten, von denen Kaczynski spricht, häufen sich. Am Wochenende war ein wichtiger Zeuge des Unglücks ums Leben gekommen. Der 42-jährige Techniker Remigiusz Mus wurde mit Betäubungsmitteln im Blut tot aufgefunden. „Vermutlich Selbstmord“, so die Polizei. Ein Abschiedsbrief wurde nicht gefunden.

Mus war 2010 kurz vor dem Kaczynski-Absturz mit einem Militärjet in Smolensk gelandet. Er kannte die Wetterverhältnisse am Unglückstag. Mus warnte die Piloten der Präsidentenmaschine über Funk vor dem dichten Nebel. Später beschuldigte er die russischen Lotsen, die Piloten mit falschen Daten versorgt zu haben. Mus hatte den Funkverkehr mitgehört.

Fast alles spricht weiterhin dafür, dass Lech Kaczynski bei einem Unglück ums Leben gekommen ist. Das Wetter in Smolensk erlaubte keine Landung. Die polnischen Piloten und die russischen Lotsen handelten unter Druck von höherer Stelle. Doch es nutzt alles nichts. Kein Argument wird den Fluch von Smolensk besiegen können.

Der Tod von Lech Kaczynski droht zu einem zweiten Fall Kennedy zu werden. Der Mord an dem US-Präsidenten im Jahr 1963 ist bis heute nicht komplett aufgeklärt und bietet Raum für Verschwörungstheorien. Auch Polen wird mit Blick auf die Tragödie keine letzte Ruhe finden.

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