Antrittsbesuch des US-Vizepräsidenten: Amerikanische Charme-Offensive

US-Vize Joe Biden verteidigt in der Nato-Zentrale den Plan, mit gemäßigten Taliban zu verhandeln. Nur fünf Prozent von ihnen seien überzeugte Gotteskrieger.

Brüssel. Die neue US-Regierung setzt ihre Charmeoffensive im Militärbündnis fort. Gleich nach Außenministerin Hillary Clinton und wenige Wochen vor Präsident Barack Obamas Reise zum Nato-Jubiläumsgipfel hat Vizepräsident Joe Biden seine Visitenkarte in der Brüsseler Nato-Zentrale abgegeben. Seine Botschaft an die europäischen Verbündeten: Um den von Afghanistan und Pakistan ausgehenden Terrorismus zu besiegen, muss die Allianz fest zusammenstehen.

Biden erinnerte daran, dass die verheerenden Terroranschläge vom 11. September 2001 von Afghanistan aus geplant wurden. Die neue Regierung in Washington suche nun im Schulterschluss mit den europäischen Verbündeten nach einer gemeinsamen Strategie für den schwierigen Militäreinsatz am Hindukusch.

Die Nummer Zwei im Weißen Haus unterstrich, dass die USA ihr Truppenkontingent um 17000 Soldaten erhöhen werden. Trotzdem werde es in Afghanistan keine rein militärische Lösung geben. Ein dauerhafter Erfolg sei nur möglich, wenn die Anstrengungen beim zivilen Aufbau vergrößert und deutlich mehr afghanische Sicherheitskräfte ausgebildet würden. "Wir sind nicht dabei, diesen Krieg zu gewinnen, aber auch weit davon entfernt ihn, zu verlieren", sagte der Amerikaner im Anschluss an sein erstes Treffen mit dem Nordatlantikrat.

Nachdrücklich verteidigte Joe Biden die heftig umstrittene Absicht seiner Regierung, mit gemäßigten Taliban zu verhandeln und sie zum Gewaltverzicht zu bewegen. Etwa 70Prozent der Aufständischen hätten sich den Taliban nur des Geldes wegen angeschlossen, bei weiteren 25 Prozent sei die Haltung nicht sonderlich gefestigt, und lediglich eine kleine Minderheit von rund fünf Prozent seien überzeugte Gotteskrieger. Mit gemäßigten Taliban zu verhandeln sei ein pragmatischer Ansatz. "Er ist es wert, geprüft zu werden", betonte Biden.

Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahed erteilte dem Angebot allerdings gleich eine Absage. Gegenüber "Spiegel Online" sagte er, Gesprächsangebote an die Aufständischen seien "sinnlos". Gemäßigte Taliban gebe es in Afghanistan nicht. Es gebe "nur eine Taliban-Bewegung", und diese sei nicht zu Verhandlungen bereit.

"Unsere Kämpfer gehorchen den Befehlen von Mullah Omar und werden nicht verhandeln." Gespräche mit der Kabuler Regierung könne es nur geben, wenn diese die Forderungen der Taliban nach einem Abzug der internationalen Truppen erfülle. Er wies alle Vorstellungen zurück, die Taliban könnten nach einem Deal ihre Waffen niederlegen. "Wir werden unsere Waffen nie abgeben."

Bis zum Nato-Gipfel Anfang April in Straßburg und Kehl will die Obama-Administration eine neue Strategie für Afghanistan und Pakistan entwickelt haben. Dabei wolle man den Alliierten "zuhören und mit ihnen beratschlagen". Die langfristige Absicht formulierte Biden so: "Unser Ziel ist es nicht, in Afghanistan zu bleiben, sondern das Land zu verlassen."

Die größte Militärmission in der bald sechzigjährigen Geschichte derNato steckt in der Sackgasse. Obwohl die Nato schon seit 2001 gegen dieTaliban zu Felde zieht, zeichnet sich ein erfolgreiches Ende desKrieges keineswegs ab.

Die Vorstellung der alten Bush-Regierung,man könne die fanatischen Gotteskrieger mit Panzern und Kanonen zügigaus dem Land jagen und eine moderne Retorten-Demokratie installieren,war von größter Naivität.

Die Absicht Washingtons, nunausgerechnet mit jenen Kriegsbaronen zu verhandeln, an deren HändenBlut klebt, ist eher Ausdruck von Verzweiflung denn von Zuversicht.

Trotzdem:An dem Versuch, gemäßigte Taliban zum Gewaltverzicht zu bewegen und dasfeindliche Lager durch Spaltung nachhaltig zu schwächen, führt kein Wegvorbei. Die Erfolgschancen sind gar nicht so gering. Die meistenAufständischen sind - mit der Ansicht steht Joe Biden nicht allein -alles andere als fanatische Gotteskrieger. Meistens heuern sie nur desGeldes wegen bei den Taliban an - oder werden von diesen bei derPolizei abgeworben. Letztlich führt also kein Weg daran vorbei,afghanische Polizisten besser zu bezahlen. Dann besteht gute Hoffnung,dass sich das Blatt wendet.

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