Politik Angst vor der Altersarmut geht um: Ist Mario Draghi an allem schuld?

Die Nullzinspolitik der EZB zerrt an der privaten Altersvorsorge. Dennoch müssen die Rentner nicht massenhaft zum Sozialamt gehen.

Politik: Angst vor der Altersarmut geht um: Ist Mario Draghi an allem schuld?
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Düsseldorf. Der Befund scheint eindeutig: Deutschlands Sparer werden enteignet. Schuld ist Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Er flutet die Märkte seit Jahren mit Geld, Zinsen gibt es praktisch nicht mehr. Das Sparen hat seinen Sinn verloren. Eine mögliche Folge: Massenhafte Altersarmut, weil die private Vorsorge nicht mehr funktioniert. Die vielfach notwendige Ergänzung zur gesetzlichen Rente, deren Niveau sinkt, bricht damit weg.

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Aber hat Draghi überhaupt eine Wahl? Der Zinsschwund ist kein deutsches, sondern ein weltweites Phänomen. Es wird viel gespart und wenig investiert. Ein hohes Angebot trifft auf eine niedrige Nachfrage, also sinkt der Preis, in diesem Fall der Zins.

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Mit seiner Nullzinspolitik und einem gigantischen Programm zum Kauf von Anleihen will Draghi Spielraum für Investitionen und Wachstum schaffen. Im Grundsatz ein richtiger Weg. Der Italiener geht allerdings sehr weit über das sachlich notwendige Maß hinaus. Bislang ohne nachhaltigen Erfolg.

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Umso spürbarer sind die Folgen seines Handelns für die Sparer. Eine Mitschuld an deren Misere muss Draghi sich anlasten lassen. Aber auch die Anleger verhalten sich alles andere als klug: 40 Prozent des Geldes liegen fast unverzinst auf Girokonten, Sparbüchern oder Tagesgeld-Konten. Weitere 40 Prozent schlummern in Lebens- und Rentenversicherungen — mit fallender Rendite. Dagegen lassen die Deutschen von Aktien und Immobilien meist die Finger, obwohl dort gerade wegen der niedrigen Zinsen erhebliche Wertsteigerungen erzielt werden. Über Fondsanteile könnten auch Kleinsparer von dieser Entwicklung profitieren — mangelndes Interesse an der Anlage des eigenen Geldes und/oder eine schlechte Beratung bei Bank oder Sparkasse verhindern das allerdings.

Das ist deshalb so fatal, weil die Verteilung der Vermögen hierzulande sowieso sehr ungleich ausfällt. In der Eurozone liegt Deutschland bei diesem fragwürdigen Ranking vorne. Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung besitzen rund zwei Drittel des gesamten Privatvermögens. Nur in den USA ballt sich der Reichtum noch stärker in der Oberschicht. Der durchschnittliche Haushalt in Deutschland verfügt lediglich über ein Drittel des Vermögens des durchschnittlichen Haushaltes in Spanien oder Italien.

Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Spanier oder Italiener in der Regel in ihrem eigenen Haus leben und die Deutschen zur Miete wohnen. Das wäre nicht tragisch, wenn es Vermögen in anderer Form gäbe — zum Beispiel in Aktien. Davon kann aber überhaupt keine Rede sein.

Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), zieht in seinem neuen Buch „Verteilungskampf“ den drastischen Schluss: „Wer unten ist, bleibt unten.“ Für den Ökonomen liegt der Schlüssel zu allem in der mangelnden Chancengleichheit. „Wir schaffen das nicht mehr, dass die Kinder es einmal besser haben sollen als die Eltern“, so Fratzscher.

Wer dem Ökonomen folgt, muss dem deutschen Sozialstaat komplettes Versagen attestieren. Die Fakten sprechen allerdings dagegen. Richtig ist, dass die Markteinkommen (Gehälter, Betriebsgewinne, Mieteinnahmen) wie die Vermögen sehr ungleich verteilt sind.

Allerdings greift der Staat über Steuern und Sozialleistungen massiv in diese Verteilung ein. Unter dem Strich ergibt sich das verfügbare Einkommen. Und dabei schneidet Deutschland nicht schlecht ab.

Als Maßstab dient der sogenannte Gini-Koeffizient, mit dem sich Ungleichheit messen lässt. Liegt er bei 100 Prozent, ist die Ungleichheit maximal (einer bekommt alles), liegt der Gini bei null Prozent, gibt es keine Ungleichheit (alle bekommen gleich viel oder wenig). Mit einem Gini-Wert von 29 Prozent sind die verfügbaren Einkommen in Deutschland weniger ungleich verteilt als in vielen anderen Industrienationen. In Frankreich beträgt der Koeffizient 31, in Großbritannien 35 und in den USA 39 Prozent.

Die Behauptung, dass Millionen Menschen hilflos auf eine Armut im Alter zusteuern, ist angesichts dieser Rahmenbedingungen also Unfug. Derzeit sind lediglich drei Prozent der über 65-Jährigen auf Sozialhilfe, die Grundsicherung im Alter, angewiesen.

Zwar zahlt die Rentenversicherung viele Renten unterhalb der Sozialhilfeschwelle von rund 850 Euro. Oft verfügen deren Empfänger aber über weitere Einkommen durch Partner, aus Pensionen, Betriebsrenten oder aus privaten Versicherungen, zum Beispiel der Riester-Rente.

Zutreffend ist aber auch, dass das Rentenniveau aus guten Gründen sinken wird (siehe Infokasten), die Bedeutung der privaten Vorsorge also zunimmt. Womit wir wieder beim Problem der niedrigen Zinsen wären. Da die Zahl der Menschen im Niedriglohnbereich stetig wächst, wird die gesetzliche Rente immer häufiger nicht zum Leben reichen. Es kann nicht sein, dass private Alterseinkünfte mit der Sozialhilfe verrechnet werden. Hier muss der Gesetzgeber Abhilfe schaffen.

Ebenso wichtig ist es aber, jene Menschen in den Blick zu nehmen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, aber für private Vorsorge keinen Cent übrig haben. Für sie muss eine auskömmliche Mindestrente her. Das notwendige Geld dafür sollte ausschließlich aus Steuermitteln stammen. Das ist auch deshalb sinnvoll, weil dann Beamte und Selbstständige dazu beitragen, dass es in zehn oder 20 Jahren keine massenhafte Altersarmut gibt.

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