Analyse: Lüge, halbe Wahrheit oder doch nur Politik?

Merkel sagt: Die Altlasten von DDR und Treuhand sind getilgt. Doch sie haben nur eine neue Adresse.

Düsseldorf. Politik ist vor allem die Kunst, den Regierten das Gefühl zu geben, die Regierenden wüssten schon, was sie tun. Und deshalb versuchte Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung zum KonjunkturpaketII dem Volk die Angst zu nehmen, die da in Aussicht gestellten Milliarden belasteten womöglich künftige Generationen.

"Wer Schulden aufnimmt, muss sie zuverlässig tilgen", so die Kanzlerin. Und beim Erblastentilgungsfonds, 1995 mit 172 Milliarden Euro Schulden von Treuhand und letzter DDR-Regierung eingerichtet, habe die Bundesregierung ja schließlich bewiesen, "dass wir das können". Merkel: "Jetzt ist er getilgt."

Das sollte beruhigen, denn es war offenbar Beweis genug: Wer in nur 14 Jahren unglaubliche 172 Milliarden tilgen kann, für den sind die schlappen 21 Milliarden des Konjunkturpakets II ja wohl kein Problem. Und deshalb richtet der Bund, wie schon 1995, wieder einen Schattenhaushalt ein, in dem die neuen Schulden unter dem schönen Namen "Investitions- und Tilgungsfonds" versteckt werden.

Der Bundestag war angesichts der Merkelschen Behauptung über die vollständige Tilgung der 172 Milliarden von der eigenen Leistungsfähigkeit wohl so überrascht, dass kein Widerspruch laut wurde. Doch wenig später kamen Zweifel auf.

Zwar bestand der Regierungssprecher noch am Freitag darauf, Merkel habe nichts als die Wahrheit gesagt, denn der Erblastenfonds sei ja fast vollständig getilgt. Und das stimmt auch - rein formal jedenfalls. Aber tatsächlich sind die Schulden - und nur auf die kommt es an - nicht einmal zur Hälfte getilgt. Und das kam so:

Das Bundesgesetz zum Erblastentilgungsfonds sah vor, dass die Rückzahlung der Kredite Jahr für Jahr vor allem durch den Überschuss der Bundesbank finanziert werden sollte. Mussten also in einem bestimmten Jahr zehn Milliarden getilgt werden, wurden die auch getilgt.

Da aber der verfügbare Bundesbankgewinn nur drei Milliarden betrug, lieh sich der Bund die restlichen sieben Milliarden auf dem Kapitalmarkt. Und die wanderten als neue Schulden in den Bundeshaushalt. Jahr für Jahr. Ergebnis: Heute sind 70 Milliarden des Erblastenfonds tatsächlich getilgt, rund 100 Milliarden der Schulden haben aber nur die Adresse gewechselt: Diese 100 Milliarden stecken weiter als Schulden im Bundesetat.

Hat sich also Merkel bloß "geirrt", wie am Freitag einige Koalitionspolitiker kleinlaut meinten, ziemlich frech gelogen oder nur - wie der sich schon als Vizekanzler unter Merkel fühlende Guido Westerwelle freundlich formulierte - die "Unwahrheit" gesagt? Was auch immer: Nennen wir es doch einfach - Politik.

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