Analyse: Die Bahn als verdeckter Meinungsmacher

Das Unternehmen verbreitet unter einem Deckmantel Lobby-Umfragen.

Berlin. Die Botschaft war eindeutig. "Bundesbürger haben kein Verständnis für neue Streiks der Lokführer." Mitten im Ausstand der Bahnleute veröffentlichte das Forschungsinstitut Berlinpolis im Oktober 2007 eine "repräsentative Forsa-Umfrage" zu den Forderungen der Lokführergewerkschaft GDL. Die "Denkfabrik", die für eine "Politik für morgen" wirbt und Ideen der "Führungskräfte in Politik und Gesellschaft" einbringen will, hatte die Erhebung in Auftrag gegeben. Das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Denn die Umfrage ging auf einen Geheimauftrag aus einem Staatsunternehmen zurück: der Bahn.

Aus der verdeckten PR-Aktion hat der neue Bahnchef Rüdiger Grube die Konsequenzen gezogen, Marketingchef Ralf Klein-Bölting muss den Konzern verlassen. Rund 1,3 Millionen Euro sollen für bahnfreundliche Veröffentlichungen geflossen sein, bei denen der Transportriese weder als Urheber noch Auftraggeber erkennbar war. Damit sollten im Tarifkonflikt Sympathien für die Bahn auch mit Blick auf den geplanten Börsengang geweckt werden. Auf Online-Foren wurde in Diskussionsbeiträgen um Wohlwollen für die Bahn geworben. Außerdem schickten PR-Leute Leserbriefe an Zeitungen, wie die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG herausfand.

Der Fall sei ein Beispiel für den wachsenden Einfluss anscheinend unabhängiger Organisationen und Verbände auf die öffentliche Meinung, sagt Ulrich Müller von LobbyControl. Der Verein, der die Bahn-Machenschaften publik machte, versucht den Aktivitäten von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden auf die Spur zu kommen. Nach dem Vorbild der USA sollten alle Verbände in ein Lobbyregister eingetragen werden, sagt Müller.

Die Forsa-Umfrage wie auch andere Erhebungen von Berlinpolis wurden von Medien aufgegriffen, auch von der Deutschen Presse-Agentur dpa. Die großen Meinungsforschungsinstitute genießen hohes Ansehen, und die Journalisten verlassen sich auf Seriosität und Unabhängigkeit ihrer Auftraggeber - manchmal zu Unrecht, wie Müller meint.

"Immer öfter treten Lobbyisten im Gewand fast wissenschaftlicher Institutionen oder als Bürgerinitiativen auf", wie etwa die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". Der Initiative, die von der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird, gelang es, Dialoge in der ARD-Vorabendserie "Marienhof" zu platzieren - gegen Bezahlung. Dies sei ein Fehler gewesen, räumte die Initiative später ein.

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