Afghanistan wird zum Vietnam der Briten

Zahl der getöteten Soldaten wächst. Mehrheit der Bevölkerung fordert den Rückzug.

London. Für die Briten geht mit 22 toten Soldaten der blutigste Monat seit acht Jahren in Afghanistan vorbei. Offiziell gilt die "Offensive Pantherkralle" als Erfolg, doch an der Heimatfront scheint dieser Krieg längst verloren. Die Mehrheit der Briten fordert den Rückzug der Truppen, während die Regierung auf ihre Nordirland-Erfahrung setzt: Mit den Taliban will man wie einst mit der IRA verhandeln.

Britische Soldaten kämpfen seit 2001 am Hindukusch, doch ihr Einsatz ist selten so kontrovers diskutiert worden wie in diesem Monat. Sechs Wochen lang haben sie versucht, die südafghanische Provinz Helmand unter ihre Kontrolle zu bringen. Doch die Offensive hatte ihren Preis - die letzten vier der 22 getöteten Soldaten sind am Dienstag zurück ins Königreich geflogen worden, wo jeder neue Konvoi von Särgen das militärische Mantra des "Mission erfüllt" in Frage stellt.

Afghanistan entwickelt sich für viele zum britischen Vietnam - 191 Männer sind seit 2001 am Hindukusch umgekommen, mehr Soldaten als im Irak. Der Afghanistankrieg kann nicht mehr gewonnen werden, das glaubt mittlerweile die Mehrheit. Nach jüngsten Umfragen plädieren 52 Prozent für einen Truppenabzug, während nur noch 43 Prozent den Einsatz von Truppen unterstützen.

Nicht nur die Grundsatzfrage polarisiert, auch ein Wechsel in der Taktik wird zum Zankapfel. Die Offensive "Pantherkralle" sollte vor allem die zweite Führungsriege der radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch mit der Regierung bringen. Auf ihnen ruht die neue Hoffnung des britischen Außenministers David Miliband, der moderaten Aufständischen explizit die Möglichkeit geben will, "einen anderen Weg zu wählen".

Es gebe unter den Taliban einen "kompromisslosen Kern", aber auch Menschen, "die zu den Waffen griffen, weil sie dazu gezwungen oder dafür bezahlt wurden". Diese sollen zum Überlaufen bewegt werden, indem man ihnen eine Existenzgrundlage als Bauer oder Sicherheitskraft verschafft.

Ganz im Stil des Nordirland-Friedensprozesses wollen die Briten künftig bei allem militärischen Druck auch die Tür zu einer politischen Lösung offen halten. Mit der IRA haben sie schon seit geraumer Zeit erfolgreich einen alten Gegner über Stadt- und Landesparlamente in den demokratischen Prozess eingebunden.

Ob diese neue Herangehensweise funktioniert, bleibt fraglich. Die Öffentlichkeit des Königreiches mag, motiviert durch den hohen Blutzoll, nun eher bereit sein für einen solchen Kurswechsel. Für die Taliban gilt das längst nicht. "So lange sie auf dem Schlachtfeld mehr erreichen als am Verhandlungstisch, werden sie keine ernsthaften Zugeständnisse machen", betonte der internationale Diplomat Lord Paddy Ashdown am Dienstag.

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