„Obama lügt, und meine Mama stirbt“

Gegen die Gesundheitsreform des Präsidenten regt sich massiver Widerstand. Das Weiße Haus vermutet eine gesteuerte Kampagne.

Washington. Kampagnen im Fernsehen und im Internet, aufgebrachte Demonstranten, selbst Puppen bekannter Politiker, die am Galgen hängen - die Debatte um Präsident Barack Obamas historische Gesundheitsreform erregt nicht nur die Gemüter der Amerikaner, sondern treibt wahrhaftig skurrile Blüten.

Obwohl Politiker ebenso wie Industrielobbyisten und freiwillige Organisationen überzeugter Reformgegner gegen das Gesetzeswerk Sturm laufen, zweifelt kaum noch jemand an der Verabschiedung. Die Frage ist eine ganz andere: Warum stemmen sich offenbar so viele Amerikaner gegen Obamas Wunsch, ärmeren Mitbürgern erschwingliche Krankenversorgung anzubieten?

Es sind zum Teil erschreckende Bilder, die seit dem Sommer über Amerikas Computer und TV-Bildschirme flimmern. Von Juni bis Ende Oktober hielten Kongressmitglieder in ihren Wahlbezirken Bürgerversammlungen ab. Von Virginia über Wisconsin bis hin nach Texas und Kalifornien trafen Politiker in Sporthallen, Schulauditorien, Bibliotheken und sogar Kirchen mit ihren Wählern zusammen. Auf mehr als 1000 Veranstaltungen wurde immer wieder über die Gesundheitsreform gestritten, die neben der Überwindung der Wirtschaftskrise und dem Krieg in Afghanistan zu den wichtigsten Prioritäten des Präsidenten zählt.

Selten ging es sachlich zu. Der texanische Abgeordnete Loyd Doggett, ein Parteifreund Obamas, der auf dem Parkplatz eines Supermarkts in Austin mit Wählern diskutieren wollte, kam gar nicht erst zu Wort. Mehrere hundert Menschen brüllten "Verräter an Texas!" Ein kleines Mädchen mit einer krebskranken Mutter hielt ein Schild mit der Aufschrift "Obama lügt, und meine Mama stirbt".

Sieht man von dem Dauerbrenner um die Legalität von Schwangerschaftsabbrüchen ab, dann wurde keine andere politische Debatte in den USA jemals so verbissen ausgefochten wie das Tauziehen um die Gesundheitsreform. Die Republikaner sehen in dem Vorhaben, das eine staatliche Pflichtversicherung als Alternative zu unerschwinglichen privaten Policen vorsieht, eine Verstaatlichung des Gesundheitswesens. Dies sei in einer Ära steigender Staatsverschuldung unerschwinglich. "Das ist purer Sozialismus!", schimpft etwa der erzkonservative Rundfunkstar Rush Limbaugh.

Die demagogisch anmutende Rhetorik hat eine Massenbewegung ausgelöst, die nach Ansicht der Demokraten aber keineswegs akkurat die öffentliche Meinung widerspiegelt. Sowohl das Weiße Haus als auch führende Kongressdemokraten sind daher überzeugt, dass sich hinter den Schreihälsen in Wirklichkeit organisierter Widerstand verbirgt, der mit einer breitangelegten Schmierenkampagne die Reform zu Fall bringen will. Der Regierung blieb daher letztlich keine andere Wahl, als gegenzusteuern.

In seinem jüngsten Brief an mehr als 13 Millionen Amerikaner, deren E-Mail Adressen Obamas Stab während des Präsidentschaftswahlkampfes gesammelt hatte, nahm der mächtigste Mann im Lande kein Blatt vor den Mund. "Es gibt einige, die vom Status Quo profitieren", schrieb Obama in Anspielung auf private Versicherer, Arzneimittelhersteller, viele Ärzte und auf Gewinn ausgerichtete Hospitäler, "und sie scheuen vor nichts zurück, um diese Reform zu blockieren."

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